Das OLG Hamm hatte sich in seiner Entscheidung (OLG Hamm r+s 2015,136) mit dem versicherungsrechtlichen Brandbegriff zu befassen. Liegt ein bedingungsgemäßer Brand bereits vor, wenn sich Speisen in einem Topf auf dem Herd entzünden und Stichflammen aus dem Topf hervorschießen? „Nein“, so die Antwort des OLG, sofern sich die Flammen nicht von selbst ausbreiten konnten, wie ein Sachverständiger nachträglich feststellte.
1. Der Versicherungsnehmer (VN) selbst ging allerdings davon aus, dass die Flammen durchaus auf weitere Gegenstände übergreifen konnten. Um ein Ausbreiten der Flammen zu vermeiden, setze der VN den Deckel auf den Topf und beförderte diesen nach draußen. Dabei kam es zu Schmier- und Rußschäden in der Küche und angrenzenden Räumen.
Mangels objektiver Realisierung eines versicherten Brandes lehnte das OLG zutreffend und eine Entschädigungsleistung durch den Versicherer (VR) ab.
2. Einer weiteren deckungsrelevanten Frage ging das OLG allerdings nicht nach.:
Genügt die subjektive Vorstellung des VN zum Bevorstehen eines Versicherungsfalls zur Begründung eines erweiterten Aufwendungsersatzes nach §90 VVG?
Diese Frage soll hier näher erörtert werden:
Der Wortlaut des §90 VVG verlangt einen
„unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfall“.
Abgestellt wird folglich auf eine objektive Betrachtung über das Vorliegen eines drohenden Versicherungsfalls. Die subjektive Vorstellung des VN findet im Wortlaut der Norm keine Berücksichtigung.
Auch die Gesetzesbegründung zu §90 VVG geht davon aus, dass die Norm anwendbar ist, „wenn objektiv ein Versicherungsfall unmittelbar bevorsteht und die Aufwendungen des VN den Zweck haben, den vertraglich festgelegten Versicherungsfall dadurch abzuwenden oder dessen Auswirkungen zu mindern“ (BT.-Drucks. 16/3945 S.83 Zu §90).
Ausführungen des Gesetzgebers, ob der erweiterte Aufwendungsersatz auch dann zu gewähren ist, wenn der VN subjektiv in Rettungsabsicht handelte, fehlen.
Große Teile der Rechtsprechung (BGH NJW-RR 1994,1366; OLG Koblenz NJOZ 2018,1891; OLG Saarbrücken NJOZ 2011,1965) und der Literatur (Langheid/Rixecker/Langheid 6. Aufl. 2019, VVG §90 Rn.2; Langheid/Wandt/Staudinger, 2. Aufl. 2016, VVG §90 Rn.7; Rüffer/Halbach/Schimikowski/Halbach, 3. Aufl. 2015, VVG §90 Rn.3; Beckmann/Matusche-Beckmann/Beckmann, 3. Aufl. 2015, VVG §15 Rn.75) stellen ebenfalls auf das objektive Bevorstehen eines Versicherungsfalls im Rahmen des §90 VVG ab.
In der Entscheidung des OLG Hamm bliebe der VN demnach auch unter Berücksichtigung des erweiterten Aufwendungsersatzes nach §90 VVG auf seinen Schäden sitzen. Die Beschädigungen in der Wohnung, die durch das Wegtragen des Topfes entstanden sind, wären mangels unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalls nicht ersatzpflichtig. Dass diese Schäden in der Absicht entstanden sind eine Ausbreitung des Feuers zu vermeiden, bliebe irrelevant.
Doch passt dieses Ergebnis zum Sinn und Zweck der Norm?
Der erweiterte Aufwendungsersatz nach §90 VVG dient vor allem dem Schutz des VR, indem dieser vor dem Eintritt eines Versicherungsfalls in der Sachversicherung geschützt werden soll. Folglich ist es nur sachgerecht dem VN einen Aufwendungsersatz zu gewähren, wenn dieser sich so verhält, als sei er nicht versichert. Unsachgemäß erscheint aber die Erwägung, dass dem mit Rettungsabsicht handelnden VN das Risiko einer Fehleinschätzung obliegen soll, ob ein Versicherungsfall auch tatsächlich objektiv bevorsteht.
Die Regelung zur Vorerstreckung des §90 VVG verweist lediglich auf den Aufwendungsersatz nach §83 VVG. Eine gleichzeitige Erstreckung auch auf die Rettungsobliegenheit nach §82 VVG erfolgt nicht. Diese Aufspaltung des Aufwendungsersatzes und der Rettungsobliegenheit im Rahmen des §90 VVG ist auch ausdrücklich vom Gesetzgeber gewollt (BT.-Drucks. 16/3945 S.82 Zu §90).
Aufgrund dieser bewussten Trennung kommt es folglich auch nicht darauf an, dass ein Versicherungsfall objektiv eingetreten ist bzw. unmittelbar bevorsteht. Eine subjektive Rettungsabsicht des VN genügt (OLG Bremen r+s 1994,306, allerdings zum VVG a.F.; Schimikowski, 6. Aufl. 2017, VVG Rn.255; differenzierend nach einfacher/grober Fahrlässigkeit des VN Prölss/Martin/Voit, 30. Aufl. 2018, VVG §83 Rn.8)
Als Korrektiv bleibt zum einen das Erfordernis der Gebotenheit nach §83 Abs.1 S.1 VVG. Der VN muss seine Aufwendungen für erforderlich halten dürfen. Es muss ein angemessenes Verhältnis zwischen Rettungszweck und Rettungsaufwand bestehen (Schimikowski, 6. Aufl. 2017, VVG Rn.255; im Ergebnis wohl auch: BGH r+s 1990,206 (208); Langheid/Wandt/Looschelders, 2. Aufl. 2016, VVG §83 Rn.18).
Außerdem muss auch nach der subjektiven Vorstellung des VN der Versicherungsfall unmittelbar bevorstehen.
Im Ergebnis ist daher festzustellen:
Der mit Rettungsabsicht handelnde VN will einen in subjektiver Hinsicht drohenden Versicherungsfall vermeiden. Sein Verhalten kommt der Versichertengemeinschaft zugute. Es entspricht daher dem Sinn und Zweck des §90 VVG, dass dem VN im Rahmen der Sachversicherung auch in diesem Fall ein Ersatzanspruch seiner Rettungsaufwendungen zusteht. Der VN muss nicht erst löschen, wenn die Küche brennt!
Super Artikel!