Der elementare Wert einer Versicherung besteht in der Sicherheit, die sie den Menschen garantiert. Die alltäglichen Risiken, die uns im Leben begegnen und die durchaus einer Absicherung bedürfen, verdrängen die meisten Menschen dabei allerdings gerne. Viele Menschen gehen davon aus, dass sie selbst von derartigen Risiken, wie zum Beispiel von einer Berufsunfähigkeit, verschont bleiben (siehe auch Risikoverhalten)
Die Attraktivität des Produkts der Versicherung ist vor dem Hintergrund dieser äußerst menschlichen Verdrängungstendenz gegenüber Risiken sehr gering. Zudem sind die einzelnen Versicherungsprodukte aufgrund des Kleingedruckten für den Kunden oft schwer zu verstehen. Ein „Produktbewusstsein“ ist kaum vorhanden.
Daraus resultierend ist das Kundenverhalten des Großteils von Versicherungskunden eher passiv. Kunden sind i.d.R. auf das Expertenwissen von Vertrauenspersonen wie z.B. Vermitttlern angewiesen, um sich ein fundiertes Bild vom Markt zu machen. Vor dem Versicherungskauf werden oft nur wenige Angebote eingeholt. Dennoch unterscheidet sich das Verhalten einzelner Kunden aufgrund der verschiedenen Persönlichkeitsprofile auch durchaus stark voneinander.
Die Fähigkeit eines Versicherungsunternehmens, Kunden trotz ihrer unterschiedlichen Verhaltensweisen langfristig zu binden, stellt einen erheblichen Erfolgsfaktor dar. Das Versicherungsunternehmen muss dabei lernen, seine Kunden und deren Verhalten individuell zu verstehen und darauf einzugehen (vgl. Müller-Peters, 2015, Präsentation: Kundenverhalten und Kundentypen, S. 2-4).
Der Fokus der weiteren Betrachtung richtet sich daher im Folgenden auf die Themen:
- Kundenverhalten
- Kundenbindung
- Kundenbindung in der Assekuranz
Kundenverhalten
Zu dem umfassenden Thema des Kundenverhaltens gibt es in der Forschung zahlreiche Beobachtungen. Weiterführende Literatur finden Sie dazu weiter unten. An dieser Stelle sei nur kurz auf die Erkenntnisse eines studentischen Projekts an der Fachhochschule Köln hingewiesen.
Im Rahmen einer qualitativ empirischen Studie zum Kundenverhalten in der Versicherungsbranche haben Studenten an der Fachhochschule Köln Einzelpersonen befragt, ihre persönlichen Überzeugungen und Erfahrungen zum Thema Versicherung offen zu legen.
Die Ergebnisse führten einerseits zu einem einheitlichen Bild. Andererseits zeigten sich zu einzelnen Themenbereichen durchaus unterschiedliche Verhaltensweisen.
Allgemein wurde der Sinn und Zweck des Versicherungsgedankens von den meisten Kunden nicht vollumfänglich verstanden. Während die private Haftpflichtversicherung meist als notwendig betrachtet wird, wird der privaten Vorsorge im Bereich der Lebensversicherung erstaunlich wenig Beachtung beigemessen (siehe auch „Zukunftsorientierung und Vorsorgebereitschaft“ in der Themenwelt).
Bei der Analyse des Kaufverhaltens zeigte sich, dass sich der Großteil der Befragten vor der Kaufentscheidung eingehend im Internet zu einzelnen Produkten informiert. Bei der detaillierten Beratung wird dann allerdings wieder großer Wert auf die persönliche Expertise von vertraulichen Vermittlern, Maklern oder Bekannten gelegt.
Erstaunlich ist, dass das Wechselverhalten der Befragten (beispielsweise aufgrund zu hoher Prämien, zu geringer Leistungen, etc.) eher gering ausfällt. Ein Grund dafür ist sicherlich das geringe Interesse der Kunden, sich aktiv mit dem Thema Versicherung auseinanderzusetzen (vgl. Gallinger; Wegmann, Qualitativ empirische Studie zum Versicherungsverhalten).
Der Blick auf das unterschiedliche Kundenverhalten ermöglicht den Versicherern im Rahmen eines Zielgruppenmarketings, aus der Perspektive der Kunden eine bedeutsame Stellung einzunehmen. Das Zielgruppenmarketing besteht dabei aus den folgenden drei Schritten (vgl. Müller-Peters, 2015 Präsentation: Kundenverhalten und Kundentypen, S. 5-6):
Eine Typologie verschiedener privater Versicherungsnehmer finden Sie auch in der Themenwelt zum Thema Entscheidungsfindung.
Kundenbindung
Langfristig lassen sich für Versicherte durch eine gute Kundenbindung Erträge steigern und Kosten einsparen. Beispiele für die Ertragssteigerung bzw. Kostenreduktion in der Assekuranz sind die Einsparung von Akquisitionskosten, Cross- und Up Selling, Weiterempfehlungen, eine geringere Preiselastizität, eine geringere Schaden-Kosten-Quote oder die Einsparung von Vertriebs- und Verwaltungskosten (vgl. Sieweck, Jörg, 2011, BBE Branchenreport Kundenbindung Assekuranz).
Kundenbindung ist aber nur dann erreichbar, wenn auch zugleich Kundenzufriedenheit besteht. Im Folgenden wird daher die Wirkungskette der Kundenbindung nach Bruhn und Homburg betrachtet, die den Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung verdeutlicht (vgl. Bruhn/Homburg, 2010, Handbuch Kundenbindungsmanagement, S. 10).
In diesem Kontext bilden Kundenzufriedenheit und Kundenbindung zwei wichtige Werte. Die moderierenden externen und internen Faktoren können sich dabei positiv oder negativ auf die Wirkungskette auswirken.
Es stellt sich daher die Frage, wie sich Kundenzufriedenheit als Phase vor der Kundenbindung einstellt. Dies verdeutlicht das so genannte, hier dargestellte, Diskonfirmationsparadigma (vgl. Homburg, 2012 ,Kundenzufriedenheit, S. 21).
Kundenzufriedenheit entsteht demnach beim Vergleich der Kundenerwartung an ein Produkt/eine Dienstleistung (Soll-Leistung) mit der tatsächlich wahrgenommenen Leistung bei der Nutzung des Produktes/einer Dienstleistung (Ist-Leistung).
Eine Konfirmation liegt vor, wenn die Erwartungen des Kunden erfüllt werden. Zufriedenheit entsteht. Werden sie übererfüllt, handelt es sich um eine positive Diskonfirmation. Es resultiert eine besonders hohe Zufriedenheit. Werden die Erwartungen des Kunden untererfüllt, spricht man von einer negativen Diskonformation. Es entsteht Kundenunzufriedenheit.
Gerade bei Versicherungen verfügen die Kunden allerdings vielfach gar nicht über bewusst vorhandene Erwartungen. Vielmehr gibt es allenfalls „implizite“ Erwartungen, die erst im Falle eines Leistungserlebens aktiviert und dann zufriedenheitsrelevant werden (vgl. Müller-Peters/Quinke/Ley, 1999, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung bei Versicherern, in: Fischer/Kutsch/Stephan, 1999, Finanzpsychologie, S. 365-386; vgl. Kahneman, 2011, Schnelles Denken, langsames Denken, S. 96-100).
Die Assimilations-Kontrast-Theorie liefert zudem eine Erklärung für nachträgliche Änderungen der Soll- oder Ist-Leistung. Die Erwartungen des Kunden werden als Ankerreiz gesetzt. Bei geringen Abweichungen der Ist-Leistung von der Soll-Leistung, streben die Kunden nach kognitivem Gleichgewicht und werden entweder ihre Erwartungshaltung oder die Leistungswahrnehmung anpassen (Assimilationstheorie). Bei starken Abweichungen der Ist-Leistung von der Soll-Leistung werden empfundene Diskonformitäten verstärkt (Kontrasteffekt) (vgl. Homburg, 2012, Kundenzufriedenheit, S. 24-27; vgl. Moser, 2007 Wirtschaftspsychologie, S. 131-132).
Kundenzufriedenheit führt nicht automatisch zur Kundenbindung, denn Kundenbindung wird ebenfalls durch viele weitere Faktoren außerhalb der Kundenzufriedenheit beeinflusst. Langfristige Kundenzufriedenheit ist allerdings eine wichtige psychologische Grundbedingung für die Entstehung von Kundenbindung. Infolgedessen wird unter anderem die Wiederkaufsabsicht des Kunden gesteigert (vgl. Moser, 2007, Wirtschaftspsychologie, S. 144; S. Homburg, 2012 Kundenzufriedenheit, S. 49).
Weitere Ursachen für die Bildung von Kundenbindung sind zum Beispiel die Verbundenheit (Kunde ist mit der Leistung zufrieden und bindet sich freiwillig), die Verpflichtung und die Gebundenheit des Kunden (etwa durch einen Vertrag). Diese drei Konzepte werden im Vergleich betrachtet (vgl. Ramme, 2009 Marketing, S. 12-13).
Das Konstrukt der Kundenbindung bezieht sich sowohl auf das bisherige als auch auf das zukünftige Verhalten des Kunden. Wie die nachfolgende Grafik zeigt, umfasst Kundenbindung unterschiedliche Elemente. (vgl. Moser, 2007, Wirtschaftspsychologie, S. 130).
Dabei streben die Kunden prinzipiell nach kognitivem Gleichgewicht. Dissonanzen, die möglicherweise nach dem Kauf oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung entstehen, können den Kunden grundsätzlich an seiner Kaufentscheidung zweifeln lassen. Um nun allerdings seine eigene Entscheidung zu rechtfertigen, werden negative Aspekte der Kaufentscheidung vernachlässigt, um das kognitive Gleichgewicht wiederherzustellen. Dies verstärkt die Kundenbindung. (vgl. Moser, 2007 Wirtschaftspsychologie, S. 134-135; vgl. Bruhn/Homburg, 2010 Handbuch Kundenbindungsmanagement, S. 56-57).
Kundenbindung in der Assekuranz
Besonders interessant ist die Frage, was für Versicherungsnehmer die entscheidenden Kriterien sind, sich weiterhin an ihren Versicherer zu binden. Der „BBE Branchenreport Kundenbindung Assekuranz“ (2011) von Dr. Jörg Sieweck veröffentlicht zu dieser grundlegenden Frage, bei der Mehrfachantworten möglich sind, folgende Statistik (vgl. Sieweck, Jörg, 2011 BBE Branchenreport Kundenbindung Assekuranz):
Die Kenntnis dieser Faktoren ist für Versicherer besonders interessant, um aktiv interne Prozesse zu optimieren, welche die Kundenbindung weiter stärken und somit den Erfolg des Unternehmens sichern.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Zum Thema Kundenverhalten
- Bednarek, Marei: Der Einfluss des Kundenverhaltens auf die Kundenzufriedenheit – Eine Untersuchung des Kundenkontakts aus der Anforderungen-Ressourcen Perspektive, 1. Auflage, Wiesbaden: Springer, 2014.
- Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter; Gröppel-Klein, Andrea: Konsumentenverhalten, 10. Auflage, München: Vahlen, 2013.
Zum Thema Kundenzufriedenheit/Kundenbindung
- Bruhn, Manfred; Homburg, Christian (Hrsg.): Handbuch Kundenbindungsmanagement, 7. Auflage, Wiesbaden: Gabler, 2010.
- Hinterhuber, Hans; Matzler, Kurt: Kundenorientierte Unternehmensführung – Kundenorientierung, Kundenzufriedenheit, Kundenbindung, 6. Auflage, Wiesbaden: Gabler, 2009.
- Homburg, Christian (Hrsg.): Kundenzufriedenheit – Konzepte, Methoden, Erfahrungen, 8. Auflage, Wiesbaden: Gabler, 2012.
- Nerdinger, Friedmann W.; Neumann, Christina: Kundenzufriedenheit und Kundenbindung – in: Moser, Klaus: Wirtschaftspsychologie, 1. Auflage, Heidelberg: Springer, 2007.
- Ramme, Iris: Marketing – Eine Einführung mit Fallbeispielen, Aufgaben und Lösungen, 3. Auflage, Stuttgart: Schäffer, 2009, S. 12-13.