Silvesterrakete = Flugkörper ?

Nach den aktuellen GDV-Bedingungen ist in der Feuerversicherung die Gefahr, dass versicherte Sachen durch Anprall oder Absturz eines Luftfahrzeuges, seiner Teile oder seiner Ladung zerstört oder beschädigt werden oder abhandenkommen, versicherbar.[1] Aber fallen hierunter auch profane Silversterraketen ?

Andere Bedingungen im Versicherungsmarkt richten sich hier nach dem Wortlaut des GDV. Im Gegensatz zu den weiteren Gefahren Brand, Blitzschlag und Explosion erfolgt im Bedingungswerk keine Definition. Oberflächlich betrachtet mag es den Anschein haben, dass dies auch nicht notwendig wäre, da die Formulierung in Teil A, § 1 Nr. 1 d) AFB recht umfangreich wirkt. Tatsächlich ist in der Praxis u.a. streitig, ab wann von einem Anprall oder Absturz gesprochen werden kann und wie sich ein Luftfahrzeug definiert.

1. Der im Urteil des AG Neumünster (Urt. vom 25.09.2014 – 36 C 338/14) verhandelte Rechtsstreit aus 2014 liefert hierfür ein praktisches Beispiel. Im Rahmen der Silvesterfeierlichkeiten durchschlug eine Silvesterrakete das Dach des innerhalb einer Wohngebäudeversicherung mitversicherten Carports der Klägerin.

Die zugrundeliegenden VGB ergänzten die GDV-Formulierung der AFB zum Versicherungsschutz der Feuergefahren um „Luftfahrzeug/Flugkörper“.

2. Der beklagte Versicherer war der Ansicht, dass kein versichertes Ereignis eingetreten sei.

Gestützt wurde die Argumentation darauf, dass es bei dem Absturz eines Flugkörpers naheliegen würde, dass der Flugkörper eine bestimmte oder bestimmbare Flugbahn hat und sich eine nicht unerhebliche Zeit in der Luft befinden muss. Die eingeschränkte Vorhersehbarkeit des Flugverlaufs einer Silvesterrakete ist für das AG Neumünster der ausschlaggebende Punkt dafür, dass es sich nicht um einen Absturz handeln kann, da ein solcher einen vorangegangenen geplanten Flugverlauf erfordert. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dürfte dies einleuchten.

3. Verkannt wird jedoch, dass nicht nur der Absturz, sondern auch der Anprall versichert ist. Damit sind alle weiteren unmittelbaren Berührungen des Luftfahrzeuges/Flugkörpers mit den versicherten Sachen gedeckt. Dass der Anprall im Zusammenhang mit einem Flug stehen muss, nur weil diese Art Fahrzeug theoretisch fliegen könnte, wird bedingungsgemäß nicht gefordert.[2] Dies würde sich schwerlich in die Bedingungen hineininterpretieren lassen, da dies für die Gefahr „Fahrzeuganprall“ in den ECB des GDV bedeuten würde, dass sich die Schienen- und Straßenfahrzeuge ebenfalls im Flug befinden müssten, was regelmäßig nicht vorkommt.

4. Des Weiteren bezweifelt das AG Neumünster die Eigenschaft einer Silvesterrakete als Luftfahrzeug und führt aus, dass Flugkörper in ihrer Beschaffenheit und Funktionsweise mit Luftfahrzeugen vergleichbar sein müssen. Die Bedingungen sehen eine Definition beider Begriffe nicht vor. Im Urteil aus 2014 wird beschrieben, dass sich ein Luftfahrzeug eine nicht unerhebliche Dauer aus eigener Kraft in der Luft halten können muss. Außerdem kann der bestimmungsgemäße Gebrauch nicht darin liegen, dass das Luftfahrzeug nach einem Flug, der nur wenige Sekunden andauert, unbrauchbar ist. Ein Beleg für diese Definition liefert das Urteil nicht. In der Rechtssprache ist der Begriff des Luftfahrzeugs bereits durch § 1 LuftVG definiert. Hiernach sind Luftfahrzeuge auch sonstige für die Benutzung des Luftraums bestimmte Geräte, sofern sie in Höhen von mehr als dreißig Metern über Grund oder Wasser betrieben werden können sowie Raumfahrzeuge, Raketen und ähnliche Flugkörper, solange sie sich im Luftraum befinden. Zwar fliegen Silvesterraketen in einer Höhe deutlich über dreißig Metern, jedoch ist zweifelhaft, ob eine Silvesterrakete ein Gerät ist. Gemäß Definition des Duden ist ein Gerät ein Werkzeug, ein Apparat oder eine Maschine, die zu einem bestimmten Zweck dient. Da der bestimmte Zweck nicht festgelegt wird, könnte eine Silvesterrakete theoretisch ein solches Gerät im Sinne des LuftVG sein. Der Begriff Rakete in § 1 LuftVG wird ebenfalls nicht näher definiert, auch wenn es den Anschein hat, dass hier Raketen für die Raumfahrt gemeint sind. Eine eindeutige Lösung herbeizuführen erweist sich als schwierig. Unstreitig dürfte jedoch sein, dass in jedem Fall eine Nutzung des Luftraums vorliegt. Dies legt § 19 Abs. 1 Nr. 2 a) LuftVO fest.

Der Begriff Flugkörper wird im LuftVG nicht definiert, sodass eine andere Auslegung erfolgen muss. Bei fehlender Legaldefinition ist das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers maßgebend. In der Anmerkung von Wälder zu einem ähnlichen Fall des AG Neunkirchen (Urt. vom 21.10.2003 – 5 C 344/03) liefert dieser eine mögliche Interpretation. Dabei wird der Begriff in seine Bestandteile zerlegt und diese jeweils einzeln betrachtet. So wäre „Körper“, unter Zugrundelegung der Definition der Brockhaus-Enzyklopädie, ein Gegenstand, der gesehen und gefühlt werden kann. Diese Eigenschaften dürften bei einer Silvesterrakete unstreitig vorliegen. Schwieriger ist hingegen das Wort „Flug“. Eine eindeutige Definition gibt es nicht. Wälder schlägt  eine Beschränkung auf die selbstständige Antriebskraft des Körpers, sei es Auftrieb oder mechanischer Antrieb, vor. Geworfene und geschossene Gegenstände wären demnach keine Flugkörper.[3] Dass das Wort „Flug“ bzw. das entsprechende Verb „fliegen“ tatsächlich derart zu verstehen ist, sei dahingestellt. Im allgemeinen Sprachgebrauch dürfte ebenfalls ein geworfener oder geschossener Gegenstand bei seiner Bewegung durch die Luft fliegen, sofern er den Boden nicht berührt, unabhängig seiner aerodynamischen Eigenschaften. Bei Geschossen wird physikalisch von dem sog. „ballistischen Flug“ gesprochen.[4] Die Ballistik versteht unter dem Begriff „Geschoss“ einen Flugkörper, der u.a. einen aerodynamischen Auftrieb besitzt, auch wenn dieser verhältnismäßig klein ist.[5] Ein Flugkörper könnte daher in seiner Auslegung weiter gehen, als die vorgeschlagene Beschreibung von Wälder. Zumindest sprechen die aufgeführten Punkte nicht für die Meinung des AG Neumünster, welches den Flugkörper bezogen auf seine Eigenschaften zwangsläufig mit dem Luftfahrzeug gleichstellen will. Vielmehr ist der Begriff „Flugkörper“ weitergehender, was Wälder ebenfalls bestätigt, wenn auch offen bleibt inwieweit.[6]

5.  Durch die GDV-Bedingungen steht für den Fall des AG Neumünster womöglich noch ein weiterer Lösungsweg bereit. Dieser manifestiert sich in der Gefahr „Explosion“. Gemäß Wortlaut des GDV ist eine Explosion eine auf dem Ausdehnungsbestreben von Gasen und Dämpfen beruhende, plötzlich verlaufende Kraftäußerung.[7] Das AG Neumünster hat dies nicht adäquat gewürdigt. Im Urteil wird lediglich erwähnt, dass die Entstehung des Loches im Carport durch Explosion nicht behauptet wird, da die Klägerin davon ausgehen würde, dass das Loch durch das Herabfallen der Silvesterrakete verursacht wurde. Knackpunkt ist, dass das Herabfallen die Explosion als Ursache nicht zwangsläufig ausschließt. Zu beachten ist, dass die AFB Entschädigung für versicherte Sachen leistet, die durch Explosion zerstört oder beschädigt werden.[8] Hier ist also der adäquate Kausalzusammenhang relevant. Wälder hat dies ebenfalls geprüft und dabei die Kommentierungen von Boldt berücksichtigt. Boldt war der Ansicht, dass für die Erfüllung des Explosionsbegriffs der Feuerwerkskörper mit einem Knallsatz ausgestattet sein müsse, da nur dieser zu einer „echten“ Explosion führen würde. Die Kausalkette ist nach Wälder hier nicht korrekt betrachtet. Der Startvorgang einer Silvesterrakete wird bereits durch eine Explosion eingeleitet, sodass die Zerstörung oder Beschädigung durch Herabfallen der Silvesterrakete adäquat kausal ist.[9]

Das AG Neumünster schließt in seinem Urteil den Versicherungsschutz für die Teilmenge „Brand, Blitzschlag, Explosion“ im vorliegenden Fall grundsätzlich aus, indem es ausführt, dass nur nicht beherrschbare Elementargefahren versichert sein sollen. Es verweist dabei auf das AG Neunkirchen, das die fehlende Deckung ebenso begründete. Derartige Gefahren sind nach Ansicht der beiden AG lediglich für große Schäden gedacht. Zum einen liefern beide AG für diese Behauptung keinen Nachweis. Zum anderen ist zu beachten, dass Versicherungsbedingungen grundsätzlich aus sich selbst heraus auszulegen sind und der Zweck sowie die Entstehungsgeschichte einer Klausel, im Gegensatz zu Gesetzen, irrelevant ist. In der Urteilsanmerkung zum AG Neunkirchen hatte Wälder bereits zu der Argumentation des AG Stellung bezogen. Aus seiner Sicht gibt es für eine derartige Auslegung keine Anhaltspunkte. Sinn und Zweck der Feuerversicherung ist auch die Deckung kleinerer Schäden.[10]

6.  Ob die Versicherungswirtschaft durch die Thematik der Silvesterraketen vor eine große Herausforderung gestellt wird, ist zweifelhaft. Selbst wenn durch die Auslegung der Begriffe „Luftfahrzeug“ und „Flugkörper“ geworfene oder geschossene Gegenstände unter den Versicherungsschutz fallen, dürfte sich das Schadenpotenzial auch bei vermeintlich hoher Frequenz im Rahmen halten. Im Zweifel müsste mit Selbstbeteiligungen gearbeitet werden, um die Frequenz im Zaum zu halten. Außerdem stellen die aktuellen AFB des GDV rein auf den Begriff „Luftfahrzeug“ ab und lassen den „Flugkörper“ außenvor. Weiterhin bleibt zu beachten, dass derartige Schäden und weitere Folgen bereits durch andere Gefahren oder Gefahrengruppen gedeckt werden können, wie beispielsweise „Explosion“, „böswillige Beschädigung“, „Glasbruch“ sowie „Brand“, wenn anschließend ein Feuer entsteht. Bei Allgefahrenprodukten mag es daher fast schon irrelevant erscheinen, über welche Gefahr oder Gefahrengruppe die Entschädigung erfolgt. Lediglich die anzuwendenden Selbstbeteiligungen könnten voneinander abweichen. Existenzbedrohende Schäden, die nur durch geworfene oder geschossene Gegenstände entstehen und nicht unter den Kriegsausschluss fallen, dürften in der Praxis eher selten sein.

[1] vgl. §1 Nr. 1 d), Teil A, AFB 2010 / Version 01.04.2014

[2] vgl. Wälder in r+s 2006, 139

[3] vgl. Wälder in r+s 2006, 139 und Wälder in r+s 2007, 424

[4] vgl. https://www.spektrum.de/lexikon/physik/ballistischer-flug/1188, Zugriff am 01.09.2019

[5] vgl. https://www.spektrum.de/lexikon/physik/ballistik/1184, Zugriff am 01.09.2019

[6] vgl. Wälder in r+s 2007, 424

[7] vgl. §1 Nr. 4, Teil A, AFB 2010 / Version 01.04.2014

[8] vgl. vgl. §1 Nr. 1, Teil A, AFB 2010 / Version 01.04.2014

[9] vgl. Wälder in r+s 2007, 424

[10] vgl. Wälder in r+s 2007, 424

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