Vorsicht: Windkraftanlage!

Besprechung von

OLG Saarbrücken 5. Zivilsenat, Urteil vom 08. Mai 2024 5 U 36/23, BeckRS 2024, 16534

Autoren: Erik Bovender, Damon Nooki, Nils Schindler

Die Besprechung ist als Gruppenarbeit im Rahmen des Moduls 6 des Masterstudiengangs Versicherungsrecht an der TH Köln im Oktober 2024 erstellt worden.

Redaktioneller Leitsatz:

Bei der Prüfung, ob ein nicht gedeckter Erfüllungsschaden vorliegt, st nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzlich auf den Gegenstand des zwischen Parteien geschlossenen Vertrag und was daraus vertraglich geschuldet ist abzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2011 – IV ZR 170/10).

Es muss demnach zwischen dem ausgeschlossenen Äquivalenzinteresse und dem nicht ausgeschlossenen Integritäts- und Erhaltungsinteresse unterschieden werden. Geht es um das Äquivalenzinteresse, sind die Ansprüche des Vertragspartners auf sein Erfüllungsinteresse, sprich auf das unmittelbare Interesse am Leistungsgegenstand gerichtete Ansprüche, ausgeschlossen.

Problemdarstellung

Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Saarbrücken vom 8. Mai 2024 (Az.: 5 U 36/23) beschäftigt sich mit dem Umfang des Versicherungsschutzes, speziell im Kontext der vertraglichen Erfüllung, einer Berufs- und Betriebshaftpflichtversicherung für Landwirte. Konkret geht es um die Frage, ob der Ausschluss des Versicherungsschutzes gem. den Allgemeinen Haftpflichtbedingungen (AHB) und Besonderen Bedingungen (BB) zur Haftpflichtversicherung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe greift, wenn ein Landwirt durch eine dritte Partei auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, da er eine vertraglich übernommene Bewirtschaftungspflicht verletzt hat.

Der Kläger, ein Landwirt, hatte gegen die Beklagte, seine Versicherungsgesellschaft, auf Deckungsschutz geklagt, nachdem er von der Betreiberin einer Windenergieanlage wegen eines Ertragsausfalls in Anspruch genommen wurde.

Die Beklagte lehnte die Deckung wegen des bestehenden Ausschlusses gem. Nr. 1.2 III AHB für das Erfüllungsinteresse ab.

Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Ein Landwirt verlangt von seiner Berufs- und Betriebshaftpflichtversicherung Leistungen im Zusammenhang mit einer Schadensersatzforderung der Firma G., Betreiberin von Windkraftanlagen, in Höhe von 57.951,70 €. Der Hintergrund ist ein im April 2016 geschlossener Vertrag zwischen dem Landwirt und der Firma G., in dem der Landwirt die landwirtschaftlichen Flächen rund um die Windkraftanlage im Einklang mit den Auflagen der Genehmigungsbehörde bewirtschaften sollte. Im Frühjahr 2021 kam es jedoch durch eine versehentliche Bepflanzung der Flächen mit Mais anstelle der vereinbarten Getreidesorten zu einem Auflagenverstoß, der zum temporären Stillstand der Anlage führte und der Firma G. erhebliche Einnahmeausfälle bescherte. Die Beklagte verweigert allerdings die Leistung des entstandenen Nutzungsausfallschadens, weil dieser als Erfüllungsschaden nach Nr. 1.2 III AHB vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sei.

Der Kläger führten an, dass in diesem Fall ein Sachschaden vorliege, da die Nutzungseinschränkung eine Eigentumsverletzung darstelle. Alternativ argumentiert er, dass ein reiner Vermögensschaden vorliege, der durch die Bedingungen der Versicherung gedeckt sei. Zudem liege nach Ansicht des Landwirts ein Beratungsverschulden der Versicherung vor, da diese ihn bei Vertragsabschluss nicht über die Reichweite des Ausschlusses für Erfüllungsschäden aufgeklärt habe.

Das Landgericht Saarbrücken wies die Klage mit der Begründung ab, dass es sich um einen Erfüllungsschaden und nicht um einen Sach- und oder Vermögensschaden handle, woraus kein Versicherungsschutz bestehe. In der Berufung verneinte auch das Oberlandesgericht Saarbrücken den Anspruch des Klägers und bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Es stellte fest, dass der geltend gemachte Schaden unter den Ausschluss für Erfüllungsschäden falle, da der Schaden durch die vertragswidrige Bewirtschaftung der Flächen entstanden sei. Darüber hinaus verneinte das OLG Saarbrücken einen Schadensersatzanspruch des Klägers wegen einer angeblichen Beratungspflichtverletzung der Beklagten. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger nicht hinreichend darlegte, dass die Beklagte eine konkrete Beratungspflicht verletzt habe und dass der Kläger sich anderweitig gegen das Risiko hätte versichern können.

Der Landwirt rügt die Entscheidung und kritisiert, dass seine existenzielle Bedrohung und die „explosionsartige Schadensentwicklung“ nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB sei es unverhältnismäßig, bei einer geringfügigen Verfehlung und Pflichtverletzung den Deckungsschutz über den Erfüllungsschadenausschluss in Gänze zu versagen. Das Berufungsgericht wies den Einwand jedoch mit der Begründung ab, dass weder ein Vertrauenstatbestand durch den Beklagten geschaffen wurde, welches den Kläger hatte vermuten lassen können, keine Deckungsablehnung zu erhalten, noch dass es verboten sei, derartige Ausschlüsse bei geringfügigen Verletzungen in die Bedingungen mit aufzunehmen.

Kritische Würdigung der Entscheidung

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken ist im Ergebnis nachvollziehbar und entspricht der ständigen Rechtsprechung zum Ausschluss von Erfüllungsschäden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 29. Juli 2003 – 9 U 165/02, VersR 2004, 223) oder Nutzungsausfallschäden (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1985 – IVa ZR 183/83, VersR 1985, 1153) in der Haftpflichtversicherung. Der Ausschluss gemäß Nr. 1.2 III AHB dient dem Zweck, das sogenannte Erfüllungsinteresse des Vertragspartners des Versicherungsnehmers vom Versicherungsschutz auszunehmen, da diese Ansprüche auf die unmittelbare Erfüllung der vertraglichen Hauptleistung und deren Surrogate abzielen. Dies ist sachgerecht, da der Versicherer nicht für das Risiko der Nichterfüllung vertraglicher Hauptleistungspflichten des Versicherungsnehmers einstehen soll. Ob der Versicherungsnehmer Deckungsschutz für eine vertragliche Erfüllungsleistung oder eine an deren Stelle tretende Ersatzleistung fordert, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach zu beurteilen, ob der Vertragspartner sein unmittelbares Interesse am eigentlichen Leistungsgegenstand geltend macht, welches durch den Inhalt der vertraglich geschuldeten Leistung bestimmt wird (vgl. BGH; Beschluss vom 28. September 2011 – IV ZR 170/10, VersR 2012, 96; BGH, Urteil vom 29. September 2004 – IV ZR 162/02, VersR 2005, 110; Urteil vom 25. September 1985 – IVa ZR 183/83, VersR 1985, 1153; OLG Saarbrücken, Urteil vom 30. Juni 2010 – 5 U 615/09, BeckRS 2011, 26838).

In Abgrenzung dazu ist ein sog. Mangelfolgeschaden, der nicht unmittelbar an der mangelhaften Leistung selbst, sondern an anderen Rechtsgütern des Vertragspartners oder Dritter entsteht, demnach nicht als Erfüllungsersatzleistung einzuordnen (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 7. Oktober 2009 – 5 U 575/08, VersR 2010, 1136; Urteil vom 29. November 1995 – 5 U 300/05 – VersR 1996, 1356; OLG Koblenz, Urteil vom 29. Oktober 1999 – 10 U 1052/98, VersR 2000, 755). Es handelt sich hierbei um das sog. Integritäts- oder Erhaltungsinteresse, d.h. um die Wahrung der Unversehrtheit von Rechtsgütern Dritter und um mitversicherte Schäden, die durch die mangelhafte Erfüllung einer vertraglichen Nebenleistung hervorgerufen werden, aber über den unmittelbaren Leistungsgegenstand hinausgehen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1965 – II ZR 135/62, VersR 1964, 230; OLG Hamm, Urteil vom 23. April 1975 – 20 U 306/74, VersR 1976, 1030, 1031).

Maßgeblich für diese Unterscheidung ist, ob die Kosten, sei es durch den Versicherungsnehmer, sei es durch Dritte, aufgewandt werden müssen, um den Dritten in den Genuss der vertragsgerechten Leistung des Versicherungsnehmers zu bringen und/oder ob sie das Zurückbleiben der tatsächlichen Leistung hinter dem Versprochenen kompensieren sollen (Prölss/Martin/Lücke, 32. Aufl. 2024, AHB Ziff. 1 Rn. 51). Im Einzelfall können auch Ansprüche wegen der Verletzung leistungsbezogener Nebenpflichten ausgeschlossen sein, wenn sie nicht das Integritäts-, sondern das Leistungsinteresse selbst betreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2011 – IV ZR 170/10, VersR 2012, 96; OLG Saarbrücken, Urteil vom 30. Juni 2010 – 5 U 615/09, BeckRS 2011, 26838).

Der Erfüllungsausschluss gemäß Nr. 1.2 III AHB erfasst umgekehrt aber solche Schäden nicht, die ihren Grund zwar in der vertraglich übernommenen Leistungsverpflichtung haben, aber erst durch ein hinzutretendes außervertragliches Ereignis eine über das Erfüllungsinteresse hinausgehende Entwicklung genommen haben (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 1975 – IV ZR 4/74, BGHZ 64, 204; OLG Köln, Urteil vom 12. April 1994 – 9 U 21/94, VersR 1995, 235). Das Gericht stellt jedoch klar, dass die Nutzungsuntersagung durch die Genehmigungsbehörde keine außervertragliche Störung ist, sondern eine direkte Folge der Vertragsverletzung des Klägers. Begründet wird dies dadurch, dass im vorliegenden Fall die vertraglich vereinbarte Bewirtschaftung der Fläche ausschließlich dem Zweck diente, den Betrieb der Windenergieanlage sicherzustellen. Demnach hat sich durch die nicht vertragsgemäße Bewirtschaftung vielmehr das Risiko verwirklicht, das durch die vertragliche Vereinbarung vermieden werden sollte. Das OLG Saarbrücken hat zutreffend festgestellt, dass der geltend gemachte Nutzungsausfallschaden der Firma G. dem unmittelbarem Erfüllungs- und Leistungsinteresse zuzurechnen ist. 

Kritisch anzumerken ist jedoch, dass das Gericht die Argumentation des Klägers, die Ablehnung des Deckungsschutzes verstoße gegen Treu und Glauben, relativ knapp abgehandelt hat. Der Kläger hatte vor dem Gericht vorgetragen, dass die Ablehnung des Versicherungsschutzes existenzvernichtende Folgen für ihn habe und die Pflichtverletzung nur geringfügig gewesen sei. Eine Rechtsausübung kann als Verstoß gegen Treu und Glauben zu bewerten sein, wenn eine vorrangige Schutzwürdigkeit der Gegenpartei gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2005 – III ZR 172/04, VersR 2005, 697; BGH, Urteil vom 4. Februar 2015 – VIII ZR 154/14, NJW 2015, 1075). Das Gericht hätte darauf hinweisen können, dass es weder vorgetragen noch ersichtlich war, dass die Beklagte einen Vertrauenstatbestand geschaffen hätte, aufgrund dessen die Klägerin davon hätte ausgehen dürfen, keine Deckungsablehnung zu erhalten.

Des Weiteren ist zu hinterfragen, ob die Beratungspflichtverletzung der Beklagten tatsächlich so eindeutig verneint werden kann. Der Kläger hatte vorgetragen, dass die Beklagte ihn nicht ausreichend über den Umfang des Versicherungsschutzes aufgeklärt habe. Auch wenn das Gericht zutreffend festgestellt hat, dass der Versicherungsvertrag bereits 2008 geschlossen wurde und der Pachtvertrag mit der Firma G. erst 2016, hätte es näher prüfen können, ob nicht dennoch eine nachträgliche Beratungspflicht der Beklagten bestand. Insbesondere im Hinblick auf die spezifischen Risiken der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung in der Nähe von Windenergieanlagen hätte eine solche Beratung sinnvoll sein können.

Auswirkungen auf die Praxis

Das hier vorliegende Urteil des OLG Saarbrücken stellt klar, dass in einer Berufs- und Betriebshaftpflichtversicherung in der Regel Schäden, welche aus bzw. während der vertraglichen Erfüllung entstehen, nicht vom Versicherungsschutz umfasst sind. Auch das Eingreifen einer Behörde als Grund für den Nutzungsausfall ändert diesen Umstand nicht. Dieser Erfüllungsschadenausschluss ist grundsätzlich rechtmäßig und es muss keine Deckung hierfür vom Versicherer gewährt werden.

Insbesondere für Landwirte und Geschäftsleute ist eine detaillierte Prüfung der Haftung bei Vertragsverhältnissen von besonderer Bedeutung, da diese im Rahmen ihrer Tätigkeit regelmäßig vertragliche Verpflichtungen eingehen. Für Versicherer und Makler und Versicherungsberater verdeutlicht dieses Urteil, dass sie ihre Kunden noch deutlicher über den Umfang und die Grenzen des Versicherungsschutzes aufklären sollten, um den genauen Deckungsschutz darzustellen und Missverständnisse sowie spätere Deckungsstreitigkeiten untereinander und vor Gericht zu vermeiden. Neben der Darstellung der Grenzen des Versicherungsschutzes ist die gezielte Befragung zu diesem Themenkomplex bestehender Vertragsverhältnisse durch Risikoträger, Makler und Versicherungsberater insbesondere bei Kunden mit land- und forstwirtschaftlichen Flächen zu empfehlen. Landwirte und andere Gewerbetreibende sollten zudem prüfen, ob spezielle Versicherungsprodukte verfügbar sind, die auch solche Erfüllungsschäden abdecken. Dies könnte auch zu einer verstärkten Nachfrage nach maßgeschneiderten Versicherungslösungen führen, die spezifische betriebliche Risiken umfassender abdecken.