Wohnung leer –  Hahn zu + Wasserleitungen leer?

Jeder hat schon Mal das Haus verlassen und lediglich die Tür abgeschlossen. Aber was ist, wenn eine Wohnung mal leersteht, weil sie längere Zeit keinen Bewohner hat? Gibt der Wohngebäudeversicherer bestimmte Regeln vor, die zu berücksichtigen sind? Müssen sich andere Wohnungseigentümer das Fehlverhalten des anderen zurechnen lassen? Welche Folgen unzureichende Sicherungen der Wasserleitungen in einer leerstehenden Wohnung haben können, zeigt ein Urteil des OLG Frankfurt.

Gebäudeversicherung:[1] Reduzierung der Entschädigung für Leitungswasserschaden bei Obliegenheitsverletzung

Anmerkung zu: OLG Frankfurt, Urteil vom 11.10.2023, 3 U 70/23

Erstinstanzliches Urteil: LG Gießen, 08.05.2023, 2 O 177/19

Von Elisabeth Berger, Franziska Graf, Michael Stein

  1. Problemdarstellung

Die Schwerpunkte der Entscheidung waren zum einen die den anderen Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) zuzurechnende Obliegenheitsverletzung eines Eigentümerpaares, zum anderen die Frage, ob der Leerstand einer Wohnung eines Mehrfamilienhauses eine anzeigepflichtige Gefahrerhöhung darstellt und zuletzt die Entscheidung, welchen Grad das Verschulden hat, wenn gegen grundlegende vertragliche Sicherheitsvorschriften verstoßen wird.

  • Inhalt der Entscheidung

Die Klägerin ist eine WEG, welche in erster Instanz vor dem Landgericht Gießen die Entschädigung für einen Leitungswasserschaden von der Beklagten, ihrem Wohngebäudeversicherer, in voller Höhe verlangte. Vertragsgrundlage waren die „Allgemeinen Bedingungen für die Gebäude-Sachversicherung – AB MFH – direkt- Stand 10/2016“.

Die Ursache für den im September 2018 festgestellten Schaden ist nach Untersuchung eines Sachverständigen auf einen offenen Wasseranschluss in der Küche infolge eines fehlenden Eckventils am Kaltwasseranschluss und ein nicht vollständig schließendes Absperrventil in der leerstehenden Wohnung im ersten Obergeschoss zurückzuführen. Bei ihrem Auszug hatten die Eigentümer Q der betroffenen Wohnung beim Ausbau der Küche auch das Eckventil der Spüle demontiert, ohne anschließend einen Verschlussstopfen aufzudrehen. Sie drehten zwar den Haupthahn zu, dieser war aber aufgrund eines Mangels nicht vollständig schließbar.

Neben der Wohnung der Eigentümer Q im ersten Obergeschoss, waren auch die darunter befindlichen leerstehenden Geschäftsräume sowie der darunter befindliche Keller von einem eingetretenen Leitungswasserschaden betroffen.

Die Beklagte lehnte die geltend gemachten Ansprüche ab, da sie eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung festgestellt haben will. Auf Anraten ihrer Prozessbevollmächtigten, zahlte die Beklagte der Klägerin 25 % der Schadenssumme.

Das LG Gießen hatte der Klage der WEG zunächst stattgegeben. Als Versicherungsnehmerin einer Fremdversicherung hafte die Klägerin grundlegend für das Handeln der Sondereigentümer. Mitversicherte Eigentümer seien für ihr Sondereigentum durch die Gebäudeversicherung der WEG gem. § 43 VVG fremdversichert. Lediglich für das Gemeinschaftseigentum (z.B. Treppenhaus) stelle die Gebäudeversicherung eine Eigenversicherung der WEG dar. Die Eigentümer Q hätten – so das LG Gießen – aber weder eine mitteilungspflichtige Gefahrerhöhung verursacht noch gegen Obliegenheiten verstoßen. Der bloße Umstand, dass eine Wohnung in den Sommermonaten leersteht und die Wasserleitung nicht abgestellt ist, führe nach der Rechtsprechung des BGH[2] im Hinblick auf die Leitungswasserversicherung noch nicht zu einer Gefahrerhöhung.

Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Das LG Gießen habe weder eine Leistungsfreiheit wegen der Verletzung der vertraglichen Sicherheitsvorschriften nach § 15 AB MFH noch den Einwand einer grob fahrlässigen Herbeiführung eines Versicherungsfalls gem. § 81 Abs. 2 VVG geprüft.

Das OLG Frankfurt hat die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und der Berufung stattgegeben.

Der Entschädigungsanspruch der Klägerin sei bereits durch die anteilige Zahlung in Höhe von 25 % der geltend gemachten Schadenssumme erfüllt.

Die Eigentümer Q hätten den Haupthahn zwar abgedreht, jedoch nicht auf seine Funktionsfähigkeit geprüft und darüber hinaus das Eckventil nicht mit einem Verschlussstopfen versehen. Somit hätten sie grob fahrlässig gegen die Sicherheitsvorschriften gemäß der Versicherungsbedingungen verstoßen, wasserführende Anlagen und Einrichtungen stets in ordnungsgemäßem Zustand zu erhalten und bei nicht genutzten Räumen diese entweder genügend häufig zu kontrollieren oder nicht genutzte wasserführende Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten. Die Eigentümer Q hätten die Wohnung nach ihrem Auszug nicht genügend häufig kontrolliert. Auch die alternativ einzuhaltende Sicherheitsvorschrift, die wasserführenden Anlagen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten, hätten sie nicht erfüllt. Die Formulierung durch das Wort „und“ zeige, dass die letztgenannten Anforderungen neben- bzw. nacheinander zu befolgen sind. Damit reiche das alleinige Absperren durch Abdrehen des Haupthahns gerade angesichts des offenstehenden Eckventils nicht aus. Es sei darüber hinaus in jedem Fall ein vollständiges Entleeren und entleert Halten der Leitungen erforderlich, was nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift gerade noch nicht durch bloßes Abdrehen des Haupthahns erfüllt sei.[3]

Auf eine Unkenntnis der Eigentümer Q von den Versicherungsbedingungen könne sich die WEG nicht berufen. Es könne vorausgesetzt werden, dass die grundlegenden Sicherheitsanforderungen allgemein bekannt sind.

  • Kritische Würdigung

In Bezug auf die Frage nach der angemessenen Frequenz bzw. Häufigkeit der Kontrolle einer leerstehenden Wohnung hat das OLG Frankfurt die vertraglichen Grundlagen als Maßstab der Entscheidung genommen. Dabei ist zu berücksichtigen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Obliegenheitsklauseln bzw. Sicherheitsvorschriften verstehen muss.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer (einer Gebäudeversicherung) bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss.[4] Bei dieser Auslegung kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse versierten Versicherungsnehmers und damit auch auf seine Interessen an.[5] Daher ist auch zu berücksichtigen, wie ein bemühter Versicherungsnehmer die Obliegenheitsklauseln bzw. Sicherheitsvorschriften aufgrund seines Interesses als (Mit-) Eigentümer verstehen darf.[6]

Die Auslegung und Berücksichtigung der Sicherheitsvorschriften und der damit einhergehenden Kontrolle des versicherten Gebäudes kann durchaus kontrovers diskutiert werden. Als Laie sieht man lediglich das Hauptventil, welches zugedreht werden kann und wurde. Daher erscheint die Annahme einer groben Fahrlässigkeit aufgrund des Verstoßes gegen eine Sicherheitsvorschrift eines Klausel-Katalogs in einem Massengeschäft[7] wie dem Geschäft der Wohngebäudeversicherungen ohne weitere Hinweise zunächst überraschend.

Neben der Frage nach der angemessenen Frequenz bzw. Häufigkeit der Kontrolle einer leerstehenden Wohnung ist bei der kritischen Würdigung des Urteils des OLG Frankfurt das Problem der Belastung der WEG als Interessensgemeinschaft nicht zu verkennen.

Man nehme an, das Verhalten des schadenverursachenden Eigentümers würde lediglich zu seinen Lasten berücksichtigt im Sinne des § 47 Abs. 1 VVG. Der Versicherer würde lediglich eine Kürzung seiner Leistung bei dem Verursacher vornehmen und den entstandenen Schaden in den übrigen Wohnungen der Miteigentümer ohne Kürzungen zahlen. Der Versicherer könnte sodann die entstandenen Kosten gegenüber dem Verursacher geltend machen. Die Folge wäre, dass die grobe Fahrlässigkeit des Verursachers sowohl zur Kürzung (ggf. sogar Reduzierung auf Null) seiner eigenen Entschädigung führt als auch zu einer möglichen Schadenersatzpflicht gegenüber dem Gebäudeversicherer, der die Schäden der anderen Miteigentümer und am Gemeinschaftseigentum reguliert. Dies könnte vor dem Hintergrund gerechtfertigt sein, dass die von den Eigentümern Q verletzten Sicherheitsvorschriften nicht nur dem eigenen Interesse dienen, in dem Sinne, dass ihre eigene Wohnung keinen Wasserschaden erleidet, sondern sie auch dem Interesse der gesamten WEG dienen. Dieser Umstand lässt das Verhalten der Eigentümer Q besonders schwerwiegend und gewissermaßen rücksichtslos gegenüber der Gemeinschaft erscheinen.

Der Entscheidung des OLG Frankfurt zur Folge ist die grobe Fahrlässigkeit des Verursachers jedoch auch bei der Regulierung des Schadens am Gemeinschaftseigentum sowie am Eigentum der Miteigentümer zu berücksichtigen, sodass das Verhalten zulasten der gesamten Gemeinschaft geht.

Ein weiterer kritisch zu betrachtender Aspekt der Entscheidung des OLG Frankfurt ist die Höhe der Leistungskürzung. Die Beklagte hat im Ergebnis 75% der Gesamtschadensumme nicht entschädigt. Hierbei ist das OLG Frankfurt der Ansicht, dass die Entleerungsobliegenheiten als grundlegende und allgemein bekannte Sicherheitsvorschriften vorausgesetzt werden konnten. Jedenfalls hätten die Miteigentümer ihre Nachforschungspflicht hinsichtlich des Inhalts der Sicherheitsvorschriften grob fahrlässig verletzt. Die Leistungskürzung um 75% begründet der Senat mit dem besonders schwerwiegenden Sorgfaltsverstoß, welchen er im Verhalten der Wohnungseigentümer bei dem Umgang mit dem offenen Eckventil, mit dem nicht voll funktionsfähigen Haupthahn, mit der mangelnden Entleerung und mit der mangelnden Kontrolle sieht. Es drängt sich zwar daher die Frage auf, ob eine Kürzung um beispielweise 50% hier ggfs. angemessener gewesen wäre, die den Eigentümern Q vorgeworfenen, zur Annahme einer groben Fahrlässigkeit führenden Verhaltensweisen lassen eine Leistungskürzung um 75 % jedoch vertretbar erscheinen.

  • Auswirkung auf die Praxis

Aus dem Urteil des OLG Frankfurt lassen sich verschiedene Auswirkungen auf die Praxis ableiten. Sowohl der Versicherungsnehmer als auch die versicherten Personen müssen sicherstellen, dass sie ihre Obliegenheiten kennen und beachten, um im Schadensfall eine volle Entschädigung zu erhalten.

Das Urteil des OLG Frankfurt stärkt die Position des Versicherers insofern, dass eine WEG sich in ihrer Rolle als Versicherungsnehmerin nicht davon befreien kann, die vertraglichen Obliegenheiten und Sicherheitsvorschriften zu erfüllen. Eine WEG kann sich demzufolge auch nicht mit dem Vorbringen befreien, dass ihr das Verhalten der Miteigentümer nicht zurechenbar sei. Konkret bedeutet das anhand des vorliegenden Falls: besondere Schutzmaßnahmen, wie z.B. das Absperren und Entleeren der Leitungen bei Leerstand des Gebäudes sind von allen versicherten Personen zu berücksichtigen.

Hinweis: Die Urteilsbesprechung ist im März/April 2024 als Gruppenarbeit im Modul 1 – Versicherungsvertragsrecht – des Masterstudiengangs Versicherungsrecht (LL.M.) des Instituts für Versicherungswesen der TH Köln erstellt worden.


[1] Titel des Urteils lautet – wohl versehentlich – „Gebäudehaftpflichtversicherung“.

[2] Urt. v. 19.10.1994 – IV ZR 159/93.

[3] Vgl. OLG Celle, Urt. v. 07.06.2007 – 8 U 1/07.

[4] BGH, Urt. v. 26.03.2014 – IV ZR 422/12.

[5] Vgl. BGH, Urt. v. 26.03.2014 – IV ZR 422/12.

[6] Vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2011 – IV ZR 117/09, r+s 2011, 295, 296, Rn. 22.

[7] In Deutschland hatten im Jahr 2020 rund 19,3 Millionen Menschen eine Wohngebäudeversicherung abgeschlossen (Quelle: GDV: https://www.gdv.de/gdv/statistik/statistiken-zur-deutschen-versicherungswirtschaft-uebersicht/schaden-und-unfallversicherung/anzahl-der-vertraege-in-der-schaden-unfallversicherung-nach-zweigen-137948).