Vorsicht Wild!


In der Fahrschule lernt man, möglichst nicht auszuweichen, wenn plötzlich ein Tier auf
der Straße erscheint. Weicht ein Autofahrer dennoch aus und erleidet er dadurch Schä-
den am eigenen Fahrzeug, kann er unter bestimmten Voraussetzungen aus seiner Teil-
kaskoversicherung Entschädigungsleistungen verlangen.


Dazu die nachfolgende Entscheidungsbesprechung.
Entscheidungsbesprechung zu OLG Saarbrücken – Urteil vom 23.11.2022 – 5 U 120/21
Verfasserinnen: Alissa Junker, Manuela Bahre, Negin Ranjbari
Das OLG Saarbrücken hatte sich in der oben genannten Entscheidung mit dem Anspruch auf
Rettungskostenersatz gemäß §§ 90, 83, 82 VVG wegen einem vermiedenen Wildunfall ausei-
nanderzusetzen.


Sachverhalt
Der Kläger und Berufungsbeklagter (nachfolgend als Kläger bezeichnet) als Versicherungs-
nehmer und die Beklagte und Berufungsklägerin (nachfolgend als Beklagte bezeichnet) als
Versicherer sind durch einen Versicherungsvertrag in Form einer Kfz-Teilkaskoversicherung
verbunden. Der Kläger war mit seinem Sohn als Sozius im Herbst auf seinem Motorrad in
Frankreich unterwegs. Beim Einfahren in eine Rechtskurve nahm er aus geringer Entfernung
Rehe hinter einem Busch am rechten Straßenrand war. Daraufhin machte er eine Ausweich-
bewegung nach links, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Dabei kam er von der Straße
ab und stürzte. Das Motorrad, seine Motorradkleidung sowie der Helm seines Sohnes wurden
hierdurch beschädigt. In den Versicherungsbedingungen ist „der Zusammenstoß des in Fahrt
befindlichen Fahrzeuges mit Tieren“ versichert.


Die Urteilsbesprechung ist im März/April 2024 als Gruppenarbeit im Modul 1 – Versicherungs-
vertragsrecht – des Masterstudiengangs Versicherungsrecht des Instituts für Versicherungs-
wesen der TH Köln erstellt worden.

Das OLG Saarbrücken als Berufungsinstanz hat das erstinstanzliche Urteil des LG Saarbrü-
cken vom 30.11.2021 – 14 O 30/21 bis auf Ausnahme des Zeitpunktes des Zinsbeginnes voll-
umfänglich bestätigt. Es hat dem Kläger und Berufungsbeklagten den Ersatz für die Schäden
an seinem Motorrad, sowie an der Kleidung an dem Helm zugesprochen.
Das Gericht hat in dem vorliegenden Urteil die Anspruchsvoraussetzungen für den Ersatz von
Rettungskosten klar herausgearbeitet und begründet.


Im Urteil angesprochene Problemkreise sind der Beweismaßstab gemäß § 286 ZPO, dem der
Kläger genügen muss, sowie die Tatsache, dass es keine Beweiserleichterungen gibt. Weiter
ist die Abgrenzung zwischen einem Reflex und einer Handlung, also einem bewussten und
unbewussten Fahrmanöver sowie einer gewollten Rettungsmaßnahme und einer unwillkürli-
chen Schreckhandlung, als wichtiges Problem wahrzunehmen. Auch ob ein etwaiger Ret-
tungswille erforderlich ist oder ob der Schutzzweck der Rettungshandlung, der objektiv zu be-
trachten ist, ausreichend ist, stellt einen Problemkreis dar. Letztlich befasst sich das Gericht
noch mit dem Problem der Gebotenheit, also ob ein vernünftiges Verhältnis zwischen vorge-
nommener Rettungshandlung und vermiedenem Schaden bestehen muss.


Urteilsbegründung
Das Gericht geht von einem Anspruch des Klägers unter dem Aspekt des Rettungskostener-
satzes gemäß §§ 83, 82, 90 VVG aus.
Gemäß § 90 VVG – Erweiterter Aufwendungsersatz, der eine eigene Anspruchsgrundlage
darstellt und auf § 83 – Aufwendungsersatz – verweist, der sich wiederum auf § 82 VVG –
Abwendung und Minderung des Schadens – bezieht, kann der Versicherungsnehmer Aufwen-
dungen ersetzt verlangen, die er tätigt, um einen unmittelbar bevorstehenden Versicherungs-
fall abzuwenden oder seine Auswirkungen zu mindern. Auch wenn dieses erfolglos geblieben
sind. So findet eine Vorerstreckung des Aufwendungsersatzes für Maßnahmen des Versiche-
rungsnehmers zur Verhinderung von Schäden vor dem Versicherungsfall statt, ohne dass die
Rettungspflicht vorverlegt wird.1


So müssen folglich Aufwendungen gegeben sein. Diese stellen Vermögensminderungen dar,
somit auch unfreiwillige Vermögensopfer.2 Das Gericht führt weiter aus, dass eine Rettungs-
handlung gegeben sein muss. Diese muss objektiv dem Zweck dienen, den Schaden abzu-
wenden oder zu mindern.
Ein subjektiver Rettungswille ist dabei nicht erforderlich.3 So kann auch eine reflexartige Hand-
lung eine Rettungshandlung darstellen. Auch wenn der Versicherungsnehmer nicht weiß, dass
eine Sacher versichert ist, kann er folglich für Rettungsaufwendungen Kostenersatz beanspru-
chen.4 Weiter müssen die Aufwendungen objektiv erforderlich gewesen sein oder aber der Versiche-
rungsnehmer durfte nach den Gegebenheiten jedenfalls von der Gebotenheit ausgehen. Im

Rahmen der Gebotenheit ist zu prüfen, ob ein angemessenes Verhältnis zwischen beabsich-
tigtem Rettungserfolg und Rettungsaufwand besteht. Für die Beurteilung der Gebotenheit ist
die Zweckdienlichkeit ex-ante maßgebend.5


Abzuwägen sind der drohende Fahrzeugschaden durch den Zusammenstoß mit einem Tier
gegen die durch ein Brems- und Ausweichmanöver drohende möglichweise mehrfachen Fahr-
zeug- und Personenschäden abzuwägen. Entscheidend ist hier auch die Größe des Tieres,
mit dem ein solcher Zusammenstoß droht.6Vorliegend handelte es sich um Rehe, folglich
größere Tiere. Eine Kollision mit diesen führt zu schwerwiegenden Schäden am Fahrzeug und
auch die möglichen Verletzungen des Klägers und seines Sohnes sind groß. Das Gericht hält
die Rettungshandlung daher für erforderlich und führt weiter aus, dass jedenfalls keine grobe
Fahrlässigkeit gegeben ist.
Für die Voraussetzungen, dass die entstandenen Schäden im Zusammenhang mit der Ab-
wendung eines unmittelbar bevorstehenden Schadens entstanden sind, trägt der Versiche-
rungsnehmer, der Kläger, die Darlegungs-und Beweislast. Hier ist das Gericht zu der hinrei-
chenden Gewissheit durch Anhörung des Klägers sowie Einvernahme des Sohnes als Zeugen
gekommen. Auch wurde eine am Unfallort anwesender Landwirt als Zeuge vernommen, der
bestätigte, dass sich dort Rehe in unmittelbarer Nähe aufgehalten haben.


Kritische Würdigung
Grundsätzlich ist das Urteil nicht zu beanstanden. Den rechtlichen Argumentationen ist zu fol-
gen. Jedoch dürfte das pauschale Vorbringen, dass der Unfallgeschädigte eines Beinahe-
Wildunfalles keinen Beweisproblemen gegenüberstehe, nicht zutreffend sein. So ist der Ge-
schädigte meist nachts alleine im Wald bei einem derartigen Geschehen. Zeugen wie im vor-
liegenden Fall dürften selten vorhanden sein.
Gleichwohl dürfte es im Ergebnis richtig sein, dass für den Geschädigten eines Beinahe-Wild-
unfalles keine Beweiserleichterungen, die für Entwendungsfälle wie bei Einbruchdiebstählen
in der Hausratversicherung, gelten, da die Missbrauchsgefahr doch als hoch einzuschätzen ist
und das Gericht die Parteivernehmung hilfsweise informatorische Anhörung des Geschädigten
als ausreichend erachten kann. Das wird freilich nicht von allen Gerichten praktiziert.7
Folgeprobleme und Bedeutung für die Praxis

Als Folgeproblem könnte zu betrachten sein, inwiefern sich ein Irrtum über die Gebotenheit
auswirkt. Umstritten ist, ob ein Leistungskürzungsrecht besteht oder der Aufwendungsersatz-
anspruch ganz ausgeschlossen ist. 8Der Wortlaut des § 83 Abs. 1 S. 1 VVG spricht für einen
vollständigen Ausschluss. Jedoch trifft der Gedanke, der zu einer Quotelung bei grober Fahr-
lässigkeit führt, auch auf den grob fahrlässigen Irrtum über die Gebotenheit zu. Sachgerecht
ist es daher dem Versicherer ein Kürzungsrecht einzuräumen.9
Steht dem Versicherer ein Leistungskürzungsrecht zu, so kann er auch entsprechend den Auf-
wendungsersatzanspruch kürzen.10


Dies auch bei einer grob fahrlässigen Herbeiführung des unmittelbar bevorstehenden Versi-
cherungsfalles, zum Beispiel durch das Fahren mit erhöhter Geschwindigkeit, der Fall.
Die Regelungen über den Rettungskostenersatz sind halbzwingend. Die Versicherer könnten
hier Anpassungen – allerdings nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers – vornehmen (vgl.
§ 87 VVG). § 90 VVG ist nicht halbzwingend ausgestaltet und daher grundsätzlich abdingbar.11
Ein völliger Ausschluss des Rettungskostenersatzes in den AKB (etwa: „Schäden durch Aus-
weichen vor Tieren werden nicht erstattet“) dürfte an § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB scheitern, weil §
90 VVG einen wesentlichen Grundgedanken des Sachversicherungsrechts enthält.12
Das OLG Saarbrücken ist in seiner Entscheidung nicht von bereits bestehenden rechtlichen
Maßstäben abgewichen,13 sodass eine große Bedeutung für die Praxis nicht bestehen dürfte.
Es hat jedoch sehr detailliert die Anspruchsvoraussetzungen für einen Rettungskostenersatz
herausgearbeitet.

  1. Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 7. Aufl. 2024, Rn. 380. ↩︎
  2. Ebenda, Rn. 381. ↩︎
  3. BGH NJW 1997, 1012 = VersR 1997, 351; MüKOVVG/Looschelders, VVG, 3. Aufl. 2022, § 83 Rn. 15. ↩︎
  4. Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 7. Aufl. 2024, Rn. 382. ↩︎
  5. BGH VersR 1972,1039 ↩︎
  6. BGH NJW 2003, 2903 = VersR 2003, 1250. ↩︎
  7. Vgl. OLG Jena r+s 2001, 356; wie hier AG Bad Segeberg r+s 2016, 231 mAnm Bonn. ↩︎
  8. Prölss/Martin/Voit, VVG, 31. Aufl. 2021, § 83 Rn. 9 ↩︎
  9. MüKOVVG/Loschelders, VVG, 3. Aufl. 2022, § 83 Rn. 37. ↩︎
  10. Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 7. Aufl. 2024, Rn. 384. ↩︎
  11. Dagegen Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel, VVG, 4. Aufl. 2023, § 90 Rn. 7. ↩︎
  12. So HK-VVG/Halbach, 4. Aufl. 2020, § 90 Rn. 8 mwN. ↩︎
  13. So auch: OLG Oldenburg – Urteil vom 22.09.2004 (3 U 80/84) = SVR 2005. 233; OLG Koblenz – Urteil vom
    19.05.2006 (10 U 1415/05) = NJW-RR 2007, 242. ↩︎