Langsam zerkratzt, ein „Plötzlicher Unfall“ in der Vollkaskoversicherung?

Unfälle in der Vollkaskoversicherung gibt es viele. Wie aber der in den AKB hinterlegte Unfallbegriff aufzufassen ist, musste Anfang 2020 mit einem Hinweisbeschluss vom OLG Hamm geklärt werden. Anknüpfungspunkt ist die Plötzlichkeit im Unfallbegriff welche auch dann anzunehmen ist, wenn ein Fahrzeug durch langsames, über einen längeren Zeitraum andauerndes Zerkratzen beschädigt wird.

Im Hinweisbeschluss des OLG Hamm vom 27.04.2020 geht es um einen zerkratzten PKW. Unbekannte Personen haben einen abgestellten PKW augenscheinlich in einer Art „Racheakt“, mühsam zerkratzt und so einen fünfstelligen Schadenfall verursacht. Die klagende Versicherungsnehmerin wähnte sich in Sicherheit, bestand doch eine Vollkasko-Versicherung bei der Beklagten. Die Vollkasko-Versicherung umfasst nach A.2.2.2.2 AKB auch Unfallschäden, welche als unmittelbar von außen her, plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das parkende Fahrzeug einwirkende Ereignisse definiert sind. Soweit so gut, der Schlüssel oder ein ähnlicher spitzer Gegenstand des Täters hat ganz offensichtlich unmittelbar von außen, plötzlich, mechanisch auf den PKW eingewirkt, so die Annahme der Klägerin. Dieser Ansicht wollte die beklagte Versicherung jedoch nicht folgen, da der Täter sich offenbar große Mühe gegeben hat, das Fahrzeug genüsslich umfangreich zu zerkratzen und nicht mal eben im Vorbeigehen den Schlüssel ausgefahren hat. Es mangele somit an der Plötzlichkeit, so der Einwand des Kaskoversicherers. Glück für die Klägerin, dass das OLG dies anders sah und auch das „langsame Zerkratzen über einen längeren Zeitraum“ als plötzlich im Sinne der AKB ansah. Bei einer Verkratzung mangelt es nicht an Plötzlichkeit, nur weil der Vorgang des Verkratzens sich eventuell über mehrere Minuten erstreckt. Der Versicherungsfall ist als bewiesen anzusehen, da die Klägerin durch eine Zeugin den Nachweis erbracht hat, dass das Fahrzeug im unbeschädigten Zustand abgestellt und bei der Rückkehr zum Fahrzeug mit Lackschäden aufgefunden wurde.

Unfreiwilligkeit, kein Bestandteil des Unfallbegriffes!

Nun stellt sich folgende Frage: „Ob plötzlich oder nicht, ist doch egal, auch mut- oder böswillige Handlungen sind mitversichert“? Das ist korrekt, da auch diese nach A.2.2.2.3 AKB, wie der Unfall, zum Umfang der Vollkasko-Versicherung gehören. Die Beklagte wollte wahrscheinlich durch das Aushebeln des Unfallbegriffes erreichen, sich über den Passus der mut- und böswilligen Handlung aus der Deckungspflicht zu nehmen. Denn diese Handlungen begünstigen für den Versicherer zusätzliche Anstoßpunkte, um sich der Leistungspflicht zu entziehen. So darf die versicherte böswillige Handlung nicht von berechtigten Personen vorgenommen werden. In diesem Fall handelt es sich um ein Geschäftsfahrzeug. Der Versicherer argumentierte, die Beschädigungen seien so atypisch, dass anzunehmen sei, der Täter (wahrscheinlich eine berechtigte Person) und die Klägerin möchten eine Versicherungsleistung zu Unrecht erhalten. Dies wurde zwar nicht direkt so ausgesprochen, die Berufungsbegründung lässt aber eine solchen Schluss zu. Die Versicherungsnehmerin müsse also umgekehrt nachweisen, dass die Beschädigungen am Fahrzeug unfreiwillig, also nicht freiwillig eingetreten sind.

Der o.g. definierte Unfallbegriff, welcher schon den Streitpunkt bezüglich der „Plötzlichkeit“ bot, macht aber auch hier dem Versicherer einen Strich durch die Rechnung. Denn diese vom Versicherer in den Raum geworfene „Unfreiwilligkeit“ der Verkratzungen am Fahrzeug, ist kein Bestandteil des Unfallbegriffes. Es ist bereits ein versicherter Unfall eingetreten, auf eine mut- und böswillige Handlung kommt es somit nicht an. Zu Recht wurde seitens des OLG verneint, die Versicherungsnehmerin müsse beweisen, die Beschädigungen seien von ihr aus unfreiwillig (also nicht vorsätzlich) eingetreten. § 81 VVG, welcher die Herbeiführung des Versicherungsfalles regelt, ist so auszulegen, dass es am Versicherer liegt zu beweisen, die Beschädigungen seien vorsätzlich herbeigeführt, was er in diesem Fall nicht konnte.

Auswirkung auf die Praxis

Die Entscheidung des OLG Hamm ist eine Klarstellung zur Auslegung und Begrifflichkeit des Unfallbegriffes in der Kaskoversicherung.

In Bezug auf die Plötzlichkeit wurden bestehende Gerichtsurteile herangezogen, welche klarstellen, dass die Plötzlichkeit nicht unbedingt ein schnell ablaufendes Ereignis sein muss. Siehe hierzu auch das Urteil 20 U 383/91 für „allmählich in ein Fahrzeug eindringendes Wasser“ sowie aus dem Bereich der Unfallversicherung IV ZR 390/12 „Einnahme von Kokain“.

Die Unfreiwilligkeit ist kein Bestandteil des Unfallbegriffes. Der Versicherungsnehmer muss den Unfall beweisen indem er darlegt, dass das Schadenereignis den Unfallbegriff (unmittelbar, von außen, …) erfüllt. Abläufe, die jedoch nicht dem Unfallbegriff zuzuordnen sind und zur Leistungsfreiheit führen können, muss der Versicherer beweisen. Der Versicherer muss hier also die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles seitens des Versicherungsnehmers beweisen. Auch beweisen muss er dies bei dem versicherten Ereignis „mut- und böswillige Beschädigung“, in Bezug auf die „Handlung von Personen, die in keiner Weise berechtigt sind, das Fahrzeug zu gebrauchen“, was dieses deutlich an Bedeutung verlieren lässt (wie auch im BGH Urteil vom 25.06.1997 IV ZR 245/96 Beweislast für Schädigungshandlungen nicht betriebsfremder Personen).

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