Silvesterfeuerwerk in der Tiefgarage: Vorweggenommener Deckungsprozess in der Familienhaftpflichtversicherung (OLG Karlsruhe Az. 12 U 75/24)

Von Suzan Akis-Kanberiz und Stefanie Berger

Der Beitrag wurde im Rahmen des Masterstudiengangs Versicherungsrecht an der TH Köln Modul 6 – Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung – abgefasst.

Eine am 01.01.2020 in einer Heidelberger Tiefgarage verschossene Feuerwerksrakete sorgt für Zündstoff im Bereich der Haftpflichtversicherung. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob ein Versicherungsnehmer bereits vor abschließender Klärung seiner Haftung Deckungsschutz durch seine Haftpflichtversicherung verlangen kann. Das Urteil des OLG Karlsruhe (Az. 12 U 75/24) vom 6. März 2025 will dafür sorgen, dass der Versicherer trotz Berufung auf Leistungsfreiheit zunächst bedingungsgemäßen Deckungsschutz zu gewähren hat und der Versicherungsnehmer nicht mehr in Vorleistung gehen muss. Die Frage des Verschuldens bleibt im nachgelagerten Deckungsprozess zu klären.

  1. Sachverhalt und Problemstellung des Falls

Der Entscheidung des OLG Karlsruhe liegt ein Schadenfall zugrunde, der sich am 1. Januar 2020 gegen 1:55 Uhr in einer Heidelberger Tiefgarage ereignete. In der Tiefgarage befanden sich an den Längsseiten der Fahrbahn jeweils Privatgaragen, die zur Fahrbahn hin durch blickdichte Metalltore und untereinander durch Maschendrahtzaun abgegrenzt waren. Der mitversicherte Sohn der Klägerin („M. E.“) hat eine Feuerwerksrakete verschossen, die unter einem der Garagentore durchgeflogen war und einen Brand auslöste, der sich ausweitete, bevor er gelöscht werden konnte (OLG Karlsruhe Urt. v. 6.3.2025 – 12 U 75/24, BeckRS 2025, 3411, Rn. 4).

Im Verfahren vor dem Jugendschöffengericht wurde M. E. wegen fahrlässiger Brandstiftung verurteilt. Die Klägerin begehrt als Versicherungsnehmerin von der Beklagten Leistungen aus einer Familienhaftpflichtversicherung, für den durch M. E. verursachten Schaden. Die Beklagte Versicherung verweigerte jedoch die Deckung. Sie begründete dies u.a. damit, dass M. E. zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt habe und sie folglich leistungsfrei wäre (vgl. OLG Karlsruhe Urt. v. 6.3.2025 – 12 U 75/24, BeckRS 2025, 3411, Rn. 10). Die Versicherungsnehmerin klagte daraufhin auf Feststellung, dass die Versicherung bedingungsgemäßen Versicherungsschutz gewähren müsse (vgl. LG Heidelberg Urt. v. 3.5.2024 – 2 O 216/22, BeckRS 2024, 42687, Rn. 18).

  • Verfahrensgang und Entscheidung des OLG Karlsruhe

Das Landgericht Heidelberg hat festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin Deckungsschutz für das Schadenereignis vom 01.01.2020 zu gewähren hat. Das Landgericht gehe von einer Verantwortlichkeit des Herrn M. E. für den Brand aus (vgl. LG Heidelberg Urt. v. 3.5.2024 – 2 O 216/22, BeckRS 2024, 42687, Rn. 76, 84, 85).

Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom 6. März 2025 – 12 U 75/24) änderte die Entscheidung des Landgerichts teilweise ab und stellte fest, dass die beklagte Versicherung verpflichtet ist, dem mitversicherten Sohn der Klägerin bedingungsgemäßen Deckungsschutz für das Schadenereignis vom 1. Januar 2020 zu gewähren, auch bevor die eigentliche Haftungsfrage abschließend geklärt ist (vgl. Veith/Gräfe/Lange/Rogler PHdB-VersProz/Betz §14 Rn. 75).

Im vorweggenommenen Deckungsprozess ist die Frage des Vorsatzes der versicherten Person nicht zu klären. Die Entscheidung der Schuldform ist dem vom Geschädigten angestrengten Haftpflichtprozess zuzuordnen. Eine isolierte Entscheidung über die Schuldform ohne Berücksichtigung des objektiven Tatablaufs, dessen Klärung Teil des Haftpflichtprozesses ist, ist in der Regel nicht möglich (vgl. BeckOK VVG/Ruks VVG § 100 Rn. 7).

Die Beklagte ist verpflichtet Abwehrdeckung im Haftpflichtprozess zu gewähren, selbst wenn sie davon ausgeht, hierzu nicht verpflichtet zu sein. Dies ergebe sich aus dem vertraglich übernommenen Rechtsschutzversprechen des Versicherers (vgl. Schimikowski in r+s 2025, 307 (311)). Die Prüfung der Frage der Leistungsfreiheit der Beklagten ist Teil des nachgelagerten Deckungsprozesses (vgl. Langheid/Rixecker/Langheid VVG § 100 Rn. 33).

  • Rechtliche Einordnung und Relevanz der Entscheidung

Das Urteil des OLG Karlsruhe stellt klar, dass ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO auch dann besteht, wenn die Haftungsfrage zwischen Geschädigtem und Versicherungsnehmer noch nicht entschieden ist. Damit stärkt das Gericht die Rechtsposition der Versicherungsnehmer.

Für Versicherer bedeutet das Urteil zugleich eine klare Vorgabe. Versicherer müssen sich auf die Möglichkeit einstellen, dass Versicherungsnehmer den Deckungsschutz vorab gerichtlich feststellen lassen. Die Prüfung von Ausschlussgründen – insbesondere wegen vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzung – bleibt aber dem gesonderten Haftpflichtprozess vorbehalten, da eine isolierte Entscheidung ohne Berücksichtigung des objektiven Tatablaufs nicht möglich ist (vgl. Armbrüster in NJW 2025, 1970 (1975)).  

Diese für den Versicherer nachteilige Ausgangssituation lässt sich damit begründen, dass der Versicherer ein umfassendes Rechtsschutzversprechen übernommen hat – welches neben der Befriedigung begründeter Ansprüche auch in der Abwehr unbegründeter Ansprüche besteht (vgl. Grams: Vorweggenommener Deckungsprozess in der Haftpflichtversicherung, FD-VersR 2025, 804887).

Der Antrag auf Erteilung bedingungsgemäßen Versicherungsschutzes sorgt als Vorbehalt zugunsten des Versicherers dafür, dass dieser sich in einem späteren Deckungsprozess darauf berufen kann, den Deckungsschutz aus Gründen, über welche hier nicht entschieden wurde, zu versagen (vgl. Staudinger/Halm/Wendt Versicherungsrecht/Heinrichs Rn. 31).

Das OLG Karlsruhe grenzt seine Entscheidung zum vorweggenommenen Deckungsprozess von der Rechtsschutzversicherung ab. Hinter dieser Entscheidung steht das geltende Trennungsprinzip zwischen Haftpflicht- und Deckungsprozess (vgl. Schimikowski in r+s 2025, 307 (311)). Das Urteil kann nicht auf die Rechtsschutzversicherung übertragen werden. Anders als in der Haftpflichtversicherung besteht in der Rechtsschutzversicherung keine Bindungswirkung an das Ergebnis des Hauptprozesses (vgl. Armbrüster in NJW 2025, 1970 (1975)).

  • Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das OLG Karlsruhe mit seiner Entscheidung die Position der Versicherungsnehmer erheblich gestärkt hat. Die Möglichkeit, den Deckungsschutz vorab gerichtlich feststellen zu lassen, bietet den Versicherungsnehmern eine wertvolle Sicherheit und verhindert, dass sie über längere Zeit in Unsicherheit darüber verbleiben, ob der Versicherer die Kosten für den Haftpflichtprozess zunächst übernimmt.

Diese für den Versicherer ungünstigere Ausgangsposition kann er dadurch verbessern, dass ein Vorbehalt hinsichtlich einer etwaigen Rückforderung erklärt wird.