Strenge Maßstäbe an Kfz.-Haftpflichtversicherer und ihre Leistungspflicht bei Erteilung einer „blanko“-eVB

Leitsatz: 

Auch wenn ein Hauptvertrag über eine Kfz-Versicherung nicht zustande gekommen ist, weil im Versicherungsantrag ein anderes Fahrzeug ausgewiesen wurde als im Versicherungsschein und der Versicherungsnehmer das darin liegende neue Angebot mangels Prämienzahlung nicht angenommen hat, so bleibt die Leistungspflicht des Kfz-Haftpflichtversicherers aus der vorläufigen Deckung bestehen, wenn das den Unfall verursachende Fahrzeug mit einer „blanko“ erteilten elektronischen Versicherungsbestätigung zugelassen wurde.

Anmerkung zu KG Berlin, 6. Zivilsenat, Urteil vom 29.05.2020, 6 U 102/19

von Susanne Hüls

Problemstellung

Grundsätzlich beginnt der materielle Versicherungsschutz erst mit Einlösung des Versicherungsscheins. Wer jedoch schon vorher Versicherungsschutz für eine bestimmte Sache benötigt, hat die Möglichkeit, eine vorläufige Deckungszusage des Versicherers einzuholen. Diese ist insbesondere in der Kraftfahrthaftpflichtversicherung von großer Bedeutung, da ein Fahrzeug ohne Versicherungsbestätigung nicht zugelassen werden kann.

Die vorläufige Deckung ist ein rechtlich selbstständiger Vertrag, mit welchem der Versicherer das Risiko für einen bestimmten Zeitraum bis zum Abschluss des endgültigen Versicherungsschutzes (Hauptvertrag) abdeckt (§ 52 Abs. 1, S. 1 VVG). In der Kfz-Haftpflichtversicherung kann der Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung aber auch rückwirkend außer Kraft treten. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer die geforderte Erstprämie nicht rechtzeitig begleicht. Da dies für den Versicherungsnehmer schwerwiegende Folgen haben kann, setzen § 9 Satz 2 KfzPflVV und darauf fußend B.2.4 AKB 2008 strenge Maßstäbe voraus, insbesondere muss der Versicherungsnehmer belehrt worden sein und der Versicherer muss den Antrag des Versicherungsnehmers unverändert angenommen haben.

Das KG Berlin hat diese aufgrund einer „blanko“ erteilten eVB geprüft und ein richtungsweisendes Urteil hierzu erlassen.

Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Versicherer hatte per E-Mail an den Versicherungsnehmer eine „blanko“ eVB (d. h. ohne Angabe des Typschlüssels) für die Zulassung seines Fahrzeugs übermittelt, mit welcher er vorläufige Deckung für die Kfz-Haftpflichtversicherung bestätigte. Der Versicherungsnehmer ließ unter Verwendung der eVB-Nr. sein Fahrzeug, einen Jaguar XJ 3.0 D, mit dem Typschlüssel ABV, zu. 

Nach Anmahnung des Versicherers unterzeichnete der Versicherungsnehmer im Büro des Versicherungsvertreters einen Neuantrag, welcher zwar das Kennzeichen des zugelassenen Fahrzeugs enthielt, aber den Typschlüssel ABP, der für einen Jaguar XF 3.0 D steht. Der Typschlüssel ABP ist einer niedrigeren Typklasse zugeordnet als der Typschlüssel ABV des tatsächlich zugelassenen Fahrzeugs. Aus diesem Grund ist zumindest zweifelhaft, ob ein Versicherungsvertrag (über welches Kfz?) zustande gekommen ist.

Der Versicherer fertigte am 14.07.2017 nach Erhalt des Antrags einen Versicherungsschein für den tatsächlich zugelassenen Fahrzeugtyp (ABV) und somit für eine höheren Prämie, als im Antrag ausgewiesen, aus. Der Versicherungsnehmer bezahlte weder die im Versicherungsschein noch im Antrag ausgewiesene Prämie. Am 09. Januar 2018 kam es zu einem vom Versicherungsnehmer verschuldeten Unfall. 

Der Versicherer nahm den Versicherungsnehmer gemäß § 116 S. 2 und 3 VVG in Regress und forderte im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs seine gegenüber dem Unfallgegner geleistete Entschädigung zurück.

Das KG Berlin stellte zunächst klar, dass ein Hauptvertrag mit dem Inhalt des Versicherungsscheins nicht  zustande gekommen ist: Aufgrund des vom Versicherer angeforderten und vom Versicherungsnehmer danach übersandten Antrags und der darauf folgenden Zusendung des vom Antrag abweichenden Versicherungsscheins, stellt dieser nach Ansicht des KG Berlins ein neues Angebot des Versicherers dar, welches mangels Prämienzahlung vom Versicherungsnehmer nicht konkludent angenommen wurde (§§ 145 ff. BGB). Ein Hauptvertrag, der den Vertrag über die vorläufige Deckung gem. § 52 Abs. 1, S. 2 VVG beendet hätte, kam somit nicht zustande.

Allerdings besteht nach wie vor Versicherungsschutz aus der vorläufigen Deckung: Durch die Mitteilung der eVB-Nummer unterbreitet der Versicherer ein Angebot, für das mit dieser Nummer zugelassene Fahrzeug vorläufig Versicherungsschutz in der gesetzlichen Haftpflichtversicherung zu gewähren. Die Benutzung der Nummer durch den Versicherungsnehmer stellt letztlich eine Annahme des Angebots durch den Versicherungsnehmer dar (vgl. Stadler in Stiefel/Maier, AKB B.2, Rn 4 bis 6). Da durch den Versicherer keine Spezifikation der eVB-Nr. durch einen Typschlüssel erfolgte, hätte der Versicherungsnehmer somit befugtermaßen das Angebot des Versicherers durch die Zulassung seines Fahrzeugs mit dem Typschlüssel ABV konkretisiert. Ein Grund oder ein Interesse des Versicherers für eine Beschränkung auf einen bestimmten Fahrzeugtyp war weder erkennbar, noch wurde dies von Seiten des Versicherers vorgetragen.

Allerdings könnte die vorläufige Deckung rückwirkend entfallen sein. Das wird vom KG Berlin verneint, schon weil der Versicherer den Antrag des Versicherungsnehmers nicht unverändert (sondern nur mit höherer Prämie) angenommen hat. Weiter sei ein treuwidriges Verhalten des Versicherungsnehmers auch nicht darin zu sehen, dass dieser Versicherungsschutz in Anspruch nahm, ohne hierfür eine Prämie bezahlt zu haben. Sowohl nach dem VVG als auch nach den AKB besteht eindeutig nur dann Leistungsfreiheit, wenn der Versicherungsnehmer trotz wirksamer Prämienanforderung mit Fristsetzung und Belehrung, mit der Prämienzahlung in Verzug gekommen ist (AKB B.2.4, C.1.2; §§ 37, 52 VVG). Dies war vorliegend gerade nicht der Fall. Da im Versicherungsschein eine höhere Prämie ausgewiesen war, als im Versicherungsantrag, fehlt es schon an einer korrekten Anforderung der Erstprämie.

Zudem hätte der Versicherer die Möglichkeit gehabt, den Vertrag der vorläufigen Deckung gem. § 52 Abs. 4, S. 2 VVG zu kündigen. Von diesem Recht hatte der Versicherer keinen Gebrauch gemacht, obwohl ihm bekannt war, dass ein anderes Fahrzeug, als das im Antrag angegebene, zugelassen wurde.

Auswirkungen für die Praxis 

Die Entscheidung des KG Berlins ist nachvollziehbar und nicht zu beanstanden, da dem Versicherer mehrere Möglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, um für Klarheit des Versicherungsschutzes zu sorgen. 

Der besondere Schutz des Versicherungsnehmers im Fall eines rückwirkenden Wegfalls der vorläufigen Deckung  und einer möglichen einhergehenden Existenzgefährdung bleibt insoweit gewahrt.

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