Merke: Vertragliches Leistungsversprechen des Kaskoversicherers verdrängt die Grundsätze des Schadensersatzrechts

KG, Beschluss v. 21.04.2020 – Az. 6 U 175/18 

Schuldet der Kfz-Kaskoversicherer bei – möglicherweise nicht fachgerecht instandgesetzten – Vorschäden am nunmehr entwendeten Fahrzeug des Versicherungsnehmers den Wiederbeschaffungswert?

Begehrt der Versicherungsnehmer nach einem versicherten Fahrzeugdiebstahl von seinem Kfz-Kaskoversicherer Leistung des Wiederbeschaffungswertes, so trifft den Versicherungsnehmer – zur Bewertung der Höhe der vertraglich geschuldeten Versicherungsleistung – grundsätzlich auch eine Aufklärungspflicht dahingehend, inwieweit etwaige Vorschäden am entwendeten Fahrzeug fachgerecht repariert wurden. 

Was aber, wenn der Versicherungsnehmer – was in der Praxis häufig der Fall sein dürfte – insoweit kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann? Welchen Wiederbeschaffungswert hat dann der Kfz-Versicherer zu leisten bzw. hat der Versicherungsnehmer dann überhaupt einen Anspruch auf eine Versicherungsleistung? 

Deutliche Worte des KG mit Beschluss v. 21.04.2020 – Az. 6 U 175/18: Auf das vertragliche Leistungsversprechen des Kaskoversicherers kommt es an!

Mit dieser rechtlichen Thematik befasste sich (erstinstanzlich) zunächst das LG Berlin (Urteil v. 25.10.2018 – Az. 44 O 56/18) und anschließend (in der Berufungsinstanz) das KG mit Beschluss v. 21.04.2020 – Az. 6 U 175/18.  

Das LG Berlin hat die Klage des Versicherungsnehmers gegen den Kfz-Kaskoversicherer wegen Unschlüssigkeit – rechtsfehlerhaft –  abgewiesen. Das KG sprach dann in der Berufungsinstanz ein klares „Machtwort“: 

„Das Landgericht kennt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs offensichtlich nicht und berücksichtigt die Grundsätze dieser Rechtsprechung auch nicht.“   

Deutliche Worte des Berufungsgerichts, denen folgende Rechtsfehler des LG zugrunde liegen:

Das Landgericht hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den Versicherungsnehmer persönlich zum Beweis des äußeren Bildes des von ihm behaupteten – vom Kfz-Kaskoversicherer bestrittenen – Diebstahls seines versicherten Fahrzeugs informatorisch anzuhören (§ 141 ZPO) und damit den Anspruch des Versicherungsnehmers in seiner Rolle als Kläger auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). 

Unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH v. 11.11.2015 – Az. IV ZR 426/14 stellte das KG klar, dass für den Anspruch des Versicherungsnehmers aus einem Kaskovertrag allein das vertragliche Leistungsversprechen des Versicherers maßgeblich sei und die gesetzlichen Vorschriften zum Schadensersatz gerade keine Anwendung finden würden. Die Grundsätze des Schadensersatzrechts seien – entgegen der fehlerhaften Rechtsauffassung des Landgerichts – auf das Versicherungsverhältnis nicht übertragbar, soweit es insbesondere um den Umfang des erforderlichen Parteivortrages zur Reparatur eines Vorschadens gehe. 

Insoweit unterscheide sich die Abwicklung eines Unfallereignisses durch einen Kfz-Haftpflichtversicherer von der Regulierung eines Kaskoschadens wesentlich. 

Abwicklung eines Versicherungsfalls über eine Kaskoversicherung

Denn bei der Abwicklung eines Versicherungsfalls über eine Kaskoversicherung seien der Geschädigte als Versicherungsnehmer und der Versicherer durch ein – für beide Seiten in besonderem Maße durch die Grundsätze von Treu und Glauben geprägtes – Versicherungsverhältnis miteinander verbunden. Für den Nachweis des Versicherungsfalls kämen dem Versicherungsnehmer daher Beweiserleichterungen zugute. Den Versicherer treffe die vertragliche Pflicht, den vom Versicherungsnehmer geltend gemachten Anspruch sorgfältig zu prüfen und den Sachverhalt ggf. durch Nachfragen und eigene Ermittlungen aufzuklären. Der Versicherungsnehmer habe hierzu – zur Vermeidung des Risikos eines teilweisen oder vollständigen Anspruchsverlusts – die vertraglich vereinbarten Obliegenheiten zu erfüllen. 

Dementsprechend müsse der Versicherer aufgrund seiner vertraglichen Pflichten die Höhe des vertraglichen Anspruchs konkret bestreiten; ein lediglich pauschales Bestreiten sei nicht ausreichend. Dies folge bereits aus der in den AKB vorgesehenen Möglichkeit zur Durchführung eines Sachverständigenverfahrens bei Streit über die Höhe des Wiederbeschaffungswertes.

Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners

Anders sei es hingegen bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners. In dieser Konstellation sei der Haftpflichtversicherer sogar verpflichtet, unberechtigt gegenüber seinem Versicherungsnehmer erhobene Ansprüche abzuwehren. Den Geschädigten und den Haftpflichtversicherer verbinde allein ein gesetzliches (kein vertragliches!) Schuldverhältnis. Im Prozess dürfe der Versicherer einen vom Geschädigten geltend gemachten Schaden mit Nichtwissen bestreiten; sodann sei es am Geschädigten, das Entstehen und den Umfang eines ersatzfähigen Sachschadens nach § 7 Abs. 1 StVG (= verschuldensunabhängige Haftung des Fahrzeughalters) darzulegen und zu beweisen. Für diesen Nachweis könne unter Umständen relevant werden, ob bestimmte bereits vorgeschädigte Fahrzeugteile nach einem Vorschaden fachgerecht instandgesetzt wurden und damit wieder als unbeschädigt anzusehen sind.  

Bei der Regulierung eines Unfallschadens durch den Haftpflichtversicherer des Schädigers gehe es somit grundsätzlich zunächst um die Kalkulation der erforderlichen Reparaturkosten, wobei das beschädigte Fahrzeug hierzu in der Regel besichtigt werden könne.  

Jedes Fahrzeug hat einen Mindestwiederbeschaffungswert

Bei der Regulierung eines Kaskoschadens nach einem Fahrzeugdiebstahl gehe es hingegen um die Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes eines Fahrzeuges zum Zeitpunkt des Diebstahls. Da eine Begutachtung des entwendeten Fahrzeuges logischerweise nicht möglich ist, für die Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes etwaige Vorschäden und die Art der Reparatur aber eine erhebliche Rolle spielen, könne – so das KG – der Wiederbeschaffungswert eines Fahrzeuges bei Zweifeln bzw. Unaufklärbarkeit dergestalt ermittelt werden, dass dieser durch einen Sachverständigen unter Ansatz von Abschlägen geschätzt werde. Denn ein zum Straßenverkehr zugelassenes Fahrzeug eines bestimmten Typs mit einer bestimmten Laufleistung und einem bestimmten Alter habe einen Mindestwert, den ein Sachverständiger bestimmen könne, auch wenn das Fahrzeug Vorschäden gehabt habe. Bei Unaufklärbarkeit sei mithin durch einen Sachverständigen ein Mindestwiederbeschaffungswert zu schätzen.

Diese Erwägungen seien jedoch nicht auf die Bestimmung der erforderlichen Reparaturkosten übertragbar, wenn etwa ein Fahrzeugteil aufgrund eines Vorschadens hätte ausgetauscht werden müssen,  das Fahrzeugteil aber stattdessen instandgesetzt und nunmehr im Rahmen des streitgegenständlichen Unfallereignisses erneut beschädigt wurde.

Nur geminderte Darlegungslast des Geschädigten 

Den geschädigten Anspruchsteller treffe hinsichtlich der fachgerechten Reparatur eines Vorschadens – wie auch im Schadensersatzrecht – eine nur geminderte Darlegungslast, sofern er über die aufklärungsbedürftigen Tatsachen kein eigenes zuverlässiges Wissen verfüge, ein solches auch nicht erlangen könne und behaupte, die beschädigte Sache in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben.

Der Geschädigte sei grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und hierfür einen Zeugenbeweis anzubieten. Dies begründe weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) noch sei hierin ein unzulässiger Ausforschungsbeweis zu sehen.   

  1. Bezug zu anderen Entscheidungen

Das KG bestätigt letztlich das Urteil des OLG Hamm v. 21.10.2011 – Az. I-20 U 62/11, soweit es für den Nachweis des äußeren Bildes eines versicherten Diebstahls (mangels tauglicher Zeugen oder Unterlagen) die persönliche Anhörung des klagenden Versicherungsnehmers bzw. Geschädigten nach § 141 ZPO ausreichen lässt.  

Ferner betont das KG unter Verweis auf BGH, Urteil v. 11.11.2015 – Az. IV ZR 426/14, dass sich die Grundsätze des Schadensersatzrechts nicht per se auf das Versicherungsvertragsrecht übertragen lassen; maßgeblich ist vielmehr allein das Leistungsversprechen des Versicherers. 

Schließlich wendet das KG die rechtlichen Überlegungen zur Vorschadensproblematik bei Verkehrsunfällen im Bereich Kfz-Haftpflichtversicherung aus BGH, Beschluss v. 15.10.2019 – Az. VI ZR 377/18 analog auf die vorliegende Konstellation einer Vorschadensproblematik im Bereich Kaskoversicherung hinsichtlich der Höhe des Wiederbeschaffungswertes im Falle eines Fahrzeugdiebstahls an (geminderte Darlegungslast des Geschädigten sowie Schätzung eines Mindestwiederbeschaffungswertes bei Unaufklärbarkeit). 

Lesenswert sind in dem Zusammenhang auch folgende Entscheidungen:

    • LG Bielefeld, Urteil v. 23.06.2020 – Az. 2 O 97/19 -, juris
    • OLG Dresden, Urteil v. 11.06.2019 – Az. 4 U 1399/18 -, juris
    • OLG Brandenburg, Urteil v. 06.02.2019 – Az. 11 U 77/18 -, juris
    • KG Berlin, Beschluss v. 27.07.2018 – Az. 6 U 15/17 -, juris
    • LG Essen, Urteil v. 19.03.2018 – Az. 18 O 199/17 -, juris
    • OLG Köln, Urteil v. 28.06.2016 – Az.  I-9 U 4/16 –, juris
    • LG Saarbrücken, Urteil v. 21.06.2016 – Az. 14 S 32/15 -, juris
    • OLG Koblenz, Urteil v. 15.10.1999 – Az. 10 U 102/99 -, juris

Fazit

Die Entscheidung des KG ist insbesondere deshalb von besonderer Relevanz, da die höchstrichterlichen Grundsätze zur Vorschadensproblematik bei Verkehrsunfällen im Bereich Kfz-Haftpflichtversicherung erstmals im Bereich Kaskoversicherung hinsichtlich der Höhe des Wiederbeschaffungswertes im Falle eines Fahrzeugdiebstahls analog angewendet wurden.   

Die aktuelle Entscheidung des KG ist aus Sicht der Versicherungsnehmer durchaus erfreulich. Denn ist im Falle eines versicherten Fahrzeugdiebstahls nicht aufklärbar, ob etwaige Vorschäden am entwendeten Fahrzeug fachgerecht instandgesetzt wurden, schuldet der Kaskoversicherer – aufgrund seines vertraglichen Leistungsversprechens – jedenfalls den Mindestwiederbeschaffungswert. Die Abweisung einer Klage des Geschädigten wegen angeblicher Unschlüssigkeit wäre – wie das KG in aller Deutlichkeit klarstellt – aufgrund der nur geminderten Darlegungslast des Geschädigten rechtsfehlerhaft.      

Die Praxisrelevanz dieser Entscheidung liegt auf der Hand, da es in der Versicherungspraxis recht häufig vorkommen dürfte, dass sich nach einem versicherten Fahrzeugdiebstahl nicht konkret aufklären lässt, ob etwaige Vorschäden fachgerecht instandgesetzt wurden.  

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