In der Kfz -Haftpflichtversicherung kann ein Verletzter gemäß § 115 VVG seinen Anspruch auf Schadensersatz direkt gegen den Versicherer des schädigenden Kfz geltend machen. Doch wie verhält es sich mit dem Direktanspruch des Straftäters, hier des einen verletzen Mittäter eines Fahrzeugdiebstahls ? Kann der Mittäter aus der Unfallbeteiligung als Beifahrer des entwendeten Fahrzeugs einen Direktanspruch gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des bestohlenen Halters geltend machen?
Mit dieser Fragestellung beschäftigte sich der BGH in seiner Entscheidung vom 27.2.2018.
1. In dem vorliegenden Urteil des BGH vom 27.2.2018 (VI ZR 109/17) verlangte die Klägerin, die Bundesagentur für Arbeit, den Ersatz von Aufwendungen, die sie als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an einen bei einem Verkehrsunfall Geschädigten erbracht hat.
Der damals 15-Jährige J (im Folgenden: Leistungsempfänger) und der damals 16-Jährige M (im Folgenden: Schädiger) entwendeten gemeinsam einen bei der Beklagten haftpflichtversicherten Motorroller. Über die für das Führen eines solchen Rollers erforderliche Fahrerlaubnis verfügten beide nicht. Dennoch fuhren sie mit dem Roller herum, wobei sie abwechselnd die Position des Fahrers bzw. Sozius einnahmen. Am Morgen des 9.9.2004 kollidierten sie – der Schädiger in der Position des Fahrers, der Leistungsempfänger in der Position des Sozius – im Bereich einer Kreuzung mit einem von rechts kommenden, vorfahrtsberechtigten Pkw. Der Leistungsempfänger erlitt dabei ein Polytrauma mit schwerem Schädelhirntrauma sowie weitere schwere Verletzungen, die unter anderem zu starken Sehbehinderungen und motorischen Einschränkungen führten.
2. Steht dem Leistungsempfänger grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu?
Grundsätzlich hat der Leistungsempfänger einen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger gemäß § 823 BGB. Ob auch eine Haftung nach § 18 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 besteht ist nach dem BGH jedoch fraglich, da überwiegend davon ausgegangen wird, dass die Fahrerhaftung aus § 18 StVG nicht gegenüber dem Halter besteht, der Halter den Fahrer also nicht aus § 18 Abs. 1 StVG in Anspruch nehmen kann. Begründet wird das damit, dass § 18 StVG auf § 7 StVG Bezug nimmt (näher OLG Frankfurt, Urteil vom 14.01.1994 (10 U 60/93)
Letztlich konnte diese Frage aber offen bleiben da vorliegend ein Anspruch des verletzten Beifahrers aus § 823 BGB unzweifelhaft gegeben ist.
3. Aber kann der Leistungsempfänger diesen Anspruch auch direkt gegenüber der Beklagten geltend machen?
Nach der ständigen Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch der durch den Fahrer eines Kraftfahrzeugs verletzte Halter “Dritter” im Sinne dieser Vorschrift sein und ihm hinsichtlich seines (Personen-) Schadens deshalb – wie einem am Haftpflichtversicherungsvertrag unbeteiligten Dritten – ein Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer aus § 115 I VVG zustehen kann.
Der Schädiger ist als – wenn auch unberechtigter – Fahrer des Motorrollers im Unfallzeitpunkt nach § 10 II Buchst. c AKB aF, § 2 II Nr. 3 KfzPflVV auch „mitversicherte Person“. Das J den Motorroller als unberechtigter Fahrer verwendete, diesen zudem noch durch eine strafbare Handlung erlangt hatte und zu diesem Zeitpunkt auch nicht über die für das Führen des Rollers erforderliche Fahrerlaubnis verfügte, ist für das Bestehen des Direktanspruchs ohne Bedeutung. Die Beklagte kann zwar aufgrund der darin liegenden Obliegenheitsverletzungen des Schädigers diesem gegenüber gemäß § 2b Abs. 1 Buchstaben b und c, Abs. 2 Satz 3 AKB aF leistungsfrei geworden sein, allerdings kann sie dem Leistungsempfänger als geschädigtem Dritten dies gemäß § 3 Nr. 4 PflVG aber grundsätzlich nicht entgegenhalten.
Dem bestehenden Direktanspruch des Leistungsempfängers steht jedoch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB entgegen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls kann die Ausübung einer formalen Rechtsstellung missbräuchlich und unzulässig sein. Wenn ein Berechtigter durch ein gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten eine Rechtsposition erlangt hat, ist dies nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unzulässig. Der Geschädigte hat den Motorroller durch einen Diebstahl erlangt. Aus diesem Grund hat der BGH entschieden, dass die Geltendmachung eines Direktanspruchs gegen die Beklagte grob anstößig und zudem über § 242 BGB rechtlich zu missbilligen ist.
Dem Urteil des BGH ist zuzustimmen, denn es ist in der Tat nicht einzusehen, warum jemandem, der ein Kfz durch eine Straftat erlangt, Ansprüche gegen die Kraftfahrt Haftpflichtversicherung zustehen sollen.