Wie beseitigt der Versicherer wirksam eine durch Anspruchsanmeldung geschaffene Verjährungshemmung?

OLG Celle (14. Zivilsenat), Urteil vom 12.02.2020 – 14 U 179/19

Erster Leitsatz: Gem. § 3 Satz 3 PflVG a. F. muss die schriftliche Entscheidung des VR eindeutig, erschöpfend und umfassend sein, um die durch die Anspruchsanmeldung geschaffene Verjährungshemmung zu beseitigen. Eine Erklärung des VR, in der dieser lediglich auf eine bestimmte Mithaftungsquote des Geschädigten hinweist, erfüllt diese Voraussetzung nicht, selbst wenn in der Folgezeit einvernehmlich zwischen den Parteien entspr. dieser Quote reguliert wurde.

Problematik

Der erste Leitsatz des Urteils vom OLG Celle greift die Thematik der Verjährungshemmung auf und konkretisiert die bereits vom BGH in seinem Urteil vom 14.03.2017 (VI ZR 226/16) geforderten Voraussetzungen an eine wirksame Erklärung zur Beendigung der Verjährungshemmung nach § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG (bzw. § 3 Satz 3 PflVG a. F.). Demnach beendet eine positive Entscheidung des Versicherers die Verjährungshemmung ausschließlich dann, wenn der Anspruchssteller im Anschluss Sicherheit darüber hat, dass auch künftige Forderungen aus dem eingetretenen Schadensfall freiwillig bezahlt werden. Eben aus diesen Gründen hat eine Erklärung des Versicherers zu den Ansprüchen „erschöpfend, umfassend und endgültig“ zu sein.

Im vorliegenden Fall hat der Versicherer einen zeitlich befristeten Verjährungsverzicht unter Angabe der von den Parteien vereinbarten Haftungsverteilung erklärt und diesen – in seinem Glauben – auf die Wirkung eines Feststellungsurteils beschränkt. Das OLG Celle kam jedoch zu dem Schluss, dass diese Erklärung eben nicht den Kriterien „eindeutig, erschöpfend und umfassend“ genügte und die Verjährungshemmung daher nicht wirksam beendet worden ist. Zusätzlich wird angeführt, dass auch eine in der Folgezeit zwischen den Parteien einvernehmliche Regulierung entsprechend der Mithaftungsquote des Geschädigten die Voraussetzung bei Nennung der Quote in der Erklärung nicht erfüllt.

Die Klägerin verlangt vorliegend im Wege des gesetzlichen Anspruchsübergangs von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz sowie die Feststellung gemäß § 256 ZPO, dass die Beklagte auch in Zukunft entsprechend ihrer Mitverschuldensquote von 2/3 für Leistungen der Klägerin aufkommt. Diesem Verlangen wird durch das Berufungsurteil des OLG Celle stattgegeben. Durch diese im Ganzen nachvollziehbare Entscheidung muss sich der Versicherer mit dem Problem auseinandersetzen, dass er bei Abgabe seiner Erklärung, mit dem Ziel der Beendigung der Verjährungshemmung, über mehrere Jahre hinweg irrtümlicherweise davon ausgegangen ist, dass bestimmte Ansprüche der Klägerin bereits nach drei Jahren (vgl. § 195 BGB) verjährt seien.

Ursächliches Ereignis

Im Jahr 2003 fährt eine bei dem Land Niedersachsen (Klägerin) verbeamtete Lehrerin mit dem Fahrrad auf der Straße und nutzt dabei den Radweg, allerdings als „Geisterfahrerin“ auf der Seite des Gegenverkehrs. Die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs fährt von einer untergeordneten Straße auf die von der Lehrerin befahrene Straße auf. In Folge dessen kommt es zu einem Verkehrsunfall mit schwerwiegenden und langwierigen finanziellen Folgen für die Lehrerin und die für einen Großteil des Schadens aufkommende Kfz-Haftpflichtversicherung (Beklagte). Die Lehrerin trägt schwere Verletzungen davon und kann ihren Beruf daher nicht mehr in Vollzeit ausüben. Sie arbeitet somit künftig in Teilzeit und erhält von ihrem Dienstherrn, dem Land Niedersachsen, zum Ausgleich des Verdienstausfallschadens seit August 2009 Zulagen zu ihrem Einkommen.

Die Klägerin meldet Ansprüche gegenüber der Beklagten an, woraufhin die Beklagte ausführt, dass der Radfahrerin eine Mithaftungsquote von 1/3 anzurechnen sei, die von der Klägerin im Folgenden ohne Einwand akzeptiert wird. Seit dem Unfalljahr 2003 erfolgt die Regulierung des Schadens auf Basis der zwischen den Parteien unstreitigen Haftungsquote i.H.v. 2/3 zu Lasten der Beklagten. Auf Wunsch der Klägerin erklärt die Beklagte am 25.02.2008 einen zeitlich befristeten Verjährungsverzicht wie folgt:

„…wunschgemäß verzichten wir – im Rahmen der Haftung von 2/3 – vorerst bis 31.12.2018 auf die Einrede der Verjährung. Dieser Verjährungsverzicht wird unter der Voraussetzung erklärt, dass wir derzeit die Einrede der Verjährung noch nicht erheben können; er geht nicht über die Wirkung eines Feststellungsurteils hinaus.“

Am 03.07.2017 macht die Klägerin die seit 2009 an die Lehrerin gezahlten Zulagen auf Basis der „vereinbarten“ Haftungsquote bei der Beklagten geltend. Diese zahlt wiederum lediglich einen, im Vergleich zum geltend gemachten Forderungsbetrag geringen, Pauschalbetrag unter Ablehnung weiterer Zahlungen. Sie beruft sich diesbezüglich auf Verjährung und führt ebenso den im Jahr 2008 erklärten Einredeverzicht an, welcher entsprechend der Erklärung nicht über die Wirkung eines Feststellungsurteils hinausgehen solle. Da die nunmehr geltend gemachten Zuschläge wiederkehrende Leistungen darstellen, würden diese in drei Jahren verjähren, was zur Folge habe, dass die Regressansprüche für bis Ende 2013 gezahlte Zuschläge bereits verjährt seien.
Die Klägerin vertritt gegenläufig u.a. die Ansicht, dass „die Beklagte sich – auch gem. den Grundsätzen von Treu und Glauben – an ihrer seit 14 Jahren praktizierten Ausgleichsberechnung festhalten lassen [müsse]“.

Entscheidungsgründe

Die vom Landgericht getroffene Feststellung, dass die Beklagte lediglich zu 1/3 verpflichtet sei, den zukünftigen Schaden zu kompensieren und die Klage im Übrigen abzuweisen, da die bis zum 31.12.2013 geltend gemachten Ansprüche verjährt seien, wird vom OLG Celle nachvollziehbar korrigiert.

Dies führt dazu, dass die Berufung der Klägerin Erfolg hat und ihr auch ein Anspruch auf Zahlung der geleisteten Zulagen für den Zeitraum von Januar 2014 bis Juli 2018 zusteht, da die Klägerin mit Schreiben vom 03.07.2017 die seit 2009 gezahlten Zulagen auf Basis der Haftungsquote angemeldet hat und dadurch der erneute Hemmungstatbestand des § 203 BGB erfüllt wurde. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 20.06.1969, VI ZR 21/68) genügt für eine „Verhandlung“ i.S.d. § 203 BGB „jeder Meinungsaustausch über die gestellten Ansprüche, der die Möglichkeit einer außergerichtlichen Einigung offen lässt“. Ebenso sieht das OLG Celle eine Verjährung des Anspruchs der Klägerin auf Regress der gezahlten Zulagen für den Zeitraum bis zum 31.12.2013 nicht als gegeben an, da der Forderungsübergang auf den Dienstherrn nach den beamtenrechtlichen Bestimmungen grundsätzlich im Unfallzeitpunkt erfolgt. Das OLG Celle führt in der Begründung die Anforderungen des BGH für ein Ende der Hemmung an:

„[diese] sind streng und erfordern eine konkrete, eindeutige und endgültige Entscheidung. Dem Geschädigten gegenüber muss umfassend und endgültig Klarheit über die Einstandsbereitschaft des VR gegeben werden, wobei dies sowohl durch eine anlehnende als auch durch eine anspruchsbejahende Erklärung gegeben werden kann (BGH-Urteil VI ZR 50/95).“

Für ein wirksames Ende der Verjährungshemmung sei es erforderlich, dass

„dem Anspruchsteller durch die Erklärung zweifelsfreie Klarheit über die Haltung des Haftpflichtversicherers des Schädigers gegenüber seinen Forderungen als Grundlage für die sachgerechte Durchsetzung seiner Ansprüche verschafft wird.“

Die Erklärung der Klägerin, dass sie mit einer Regulierung i.H.v. 2/3 zu Lasten der Beklagten einverstanden sei, kann dem Versicherer nicht als seine eigene Entscheidung ausgelegt werden.

Es wird klargestellt, dass der von der Beklagten abgegebene zeitliche Verjährungsverzicht kein eindeutiges Schreiben im Sinne der ständigen Rechtsprechung darstellt. Dies wird damit begründet, dass die Beklagte darin „nicht mit der gebotenen Klarheit erkennen [lässt], ob sie auch alle künftigen angesichts der Verletzungen der Geschädigten noch zu erwartenden Schadensposten, die bisher nicht Gegenstand der Abrechnung waren, zu ersetzen bereit sein wird“.

Dies hat eine dauerhafte Hemmung der Verjährung zur Folge, wodurch die Beklagte auch nicht unbillig belastet sei, da sie „in Kenntnis der schweren Unfallfolgen der Geschädigten und ihrer dauerhaften verminderten Erwerbstätigkeit und der darauf beruhenden wahrscheinlichen weiteren Schadenspositionen [es] selbst in der Hand [habe], die Verjährung durch eine formwahrende und eindeutige Erklärung wieder in Lauf zu setzen“ (vgl. BGH-Urteil VI ZR 226/16).

Würdigung der Entscheidung

Das Berufungsurteil des OLG Celle verdient überwiegend Zustimmung. Zwar geht aus dem Gesetz nicht hervor, welche Anforderungen an eine Erklärung des Versicherers gestellt werden, damit diese eine durch Anspruchsanmeldung geschaffene Verjährungshemmung wirksam beendet, doch werden diese durch die angeführte BGH-Rechtsprechung zumindest dem Sinn nach konkretisiert. Nach § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG bzw. § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG a. F. wird lediglich eine Entscheidung des Versicherers in Textform bzw. eine schriftliche Entscheidung verlangt. Da im Allgemeinen bei einer Entscheidung davon ausgegangen werden kann, dass diese ihren Inhalt klar und eindeutig vermittelt, ist die Voraussetzung einer „eindeutigen, erschöpfenden und umfassenden“ Erklärung durchaus legitim. Es kann jedoch infrage gestellt werden, ob die Klägerin als Bundesland (Dienstherr der primär Geschädigten) durch diese Entscheidung gegenüber dem Versicherer bevorteilt wird, da bei dieser die gleichen Maßstäbe angewandt werden, wie bei einer einzelnen natürlichen Person. Letztendlich greift das OLG Celle die vom BGH entwickelten Grundsätze an eine wirksame Erklärung zur Beendigung einer Verjährungshemmung auf, sodass Versicherer nun wissen, welche Anforderungen sie in einem solchen Fall zu beachten haben.

Folgen für die Versicherer

Für die Praxis in der Versicherungswirtschaft ist es überaus wichtig, bei einem spartenübergreifenden Thema wie der Verjährungsfrist und deren Hemmung neben den gesetzlichen Grundlagen die ständige Rechtsprechung des BGH und die dadurch festgelegten Erfordernisse für die Wirksamkeit einer hemmungsbeendenden Erklärung zu kennen. Eine wirksame Erklärung zur Beendigung der Verjährungshemmung hat somit die drei Kriterien „eindeutig, erschöpfend und umfassend“ zu erfüllen. Auch wenn diese keine eindeutigen Rechtsbegriffe darstellen, kann der Sinn und Zweck aus ihrem Wortlaut abgeleitet werden. Aus dem Urteil geht unter Bezugnahme auf BGH-Rechtsprechung hervor, dass nach Abgabe einer hemmungsbeendenden Erklärung des Versicherers dem Anspruchssteller umfassend und endgültig (zweifelsfrei) Klarheit über die Einstandsbereitschaft des Versicherers gegeben werden soll, sodass diesem bewusst ist, dass auch künftige Forderungen aus dem eingetretenen Schadensfall freiwillig bezahlt werden. Es wird zudem klargestellt, dass auch eine von den Parteien vereinbarte, in der Regulierung praktizierte Haftungsverteilung, die in der Erklärung genannt wird, die Voraussetzung an eine hemmungsbeendende Erklärung nicht erfüllen kann. Bei Nichtbeachtung des Formerfordernisses einer Erklärung zur Beendigung einer durch Anspruchsanmeldung geschaffenen Verjährungshemmung kann dies, wie hier der Fall, zu langwierigen finanziellen Folgen für den Versicherer führen.

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