Das Image der Versicherung – ein unangenehmes Thema. Manchmal kommen die Rufschädiger sogar aus den eigenen Reihen: So schmuggelte sich einst ein später überaus namhafter Schriftsteller 1894 für eine kleine Weile als junger Praktikant in die Süddeutsche Feuerversicherungsbank in München ein. Heute würde er wohl im Assesment-Center ausgesiebt: Als Schüler war er ein „verkommener Gymnasiast“: „Faul, verstockt und voll liederlichen Hohns über das Ganze“. Er schaffte es denn auch nicht bis zur Prima, sondern trat dank familiärer Beziehungen, „das Wort ‚vorläufig’ im Herzen, als Volontär in die Bureaus“ ein. „Eine sonderbare Episode“, schreibt Thomas Mann. „Unter schnupfenden Beamten kopierte ich Bordereaus und schrieb zugleich heimlich an meinem Schrägpult meine erste Erzählung.“ „Ich verließ das Bureau, bevor man mich herauswarf“, resümierte er ehrlich.* Einige Jahre später rächte sich Thomas Mann literarisch für die vermeintlich erlittene Fron.
Er ließ in den „Buddenbrooks“ einen Direktor Hugo Weinschenk auftreten, der im Dienste der Städtischen Feuerversicherungsgesellschaft stand. Der kontrastreiche Name zieht (wir ahnen: in vollkommen ungerechter Weise!) den Posten des Versicherungs-Direktors ins Derbe hinab und macht sich über die Branche als solche lustig. Weinschenk ist ein „Selfmademan“ (440). Aus dem armen Schlesien ist er zugereist. Seine Familie kommt „nicht in Betracht“. Er ist ein Aufsteiger, ein Karrierist, in den Formen „nicht eben vollkommen“, sondern ungeschliffen und derb: „nicht ganz frisch und sauber“, sondern, näher betrachtet, „ein ziemlich unerfreulicher Anblick“. Er tritt in die Familie Buddenbrook ein und heiratet Erika Grünlich, die Tochter von Tony Permaneder, geborene Buddenbrook, als sich die Familie Buddenbrook schon im vollen Abstieg befindet und Thomas Buddenbrook, der letzte Träger des alten Ruhmes, wider sein Gewissen nach einem riskanten Spekulationsgeschäft greift.
Doch Direktor Weinschenk ist etwas übereifrig. Er macht sich wiederholt „eines schweren Fehltritts“ schuldig: „Brände hatten an verschiedenen Orten stattgefunden, größere Feuersbrünste, die die Gesellschaft […] große Summen gekostet haben würden. Direktor Weinschenk aber sollte, erst nachdem er durch seine Agenten rasche vertrauliche Mitteilung von den Unglücksfällen empfangen, also bewußt betrügerischerweise, die Rückversicherungen bei einer anderen Gesellschaft vorgenommen und dieser so den Schaden zugeschoben haben.“ (525) Senator Buddenbrook erklärt es seiner Mutter verzweiflungsvoll geschönt. Denn er stimmt inzwischen insgeheim seinem missratenen Bruder Christian bei, der im vornehmen Kaufmanns-Club laut vernehmlich erklärte, dass „jeder Geschäftsmann ein Betrüger“ (473) sei. Ausgerechnet am Versicherungs-Direktor Weinschenk behauptet der Roman die Wahrheit dieses Grundsatzes.
Weinschenk muss für dreieinhalb Jahre hinter Gitter. Als er gegen Ende des Romans aus dem Gefängnis herauskommt, ist er „moralisch so vollkommen gebrochen“ (641), dass er nach wenigen Tagen auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Er war eine letzte bürgerliche Hoffnung der Familie, scheiterte unter anderem am mangelnden Verständnis der Gepflogenheiten. Der Versicherungs-Direktor repräsentiert den reinen Aufsteiger, der nicht geschliffen genug ist und nicht genug Format besitzt, in die vornehme Gesellschaft aufzusteigen. Und natürlich ist er nicht in der Lage, den Abstieg der Buddenbrooks abzubremsen; im Gegenteil: die Talfahrt der Familie beschleunigt sich durch seine Tölpelei.
Dieses Bild eines Versicherungs-Direktors, dieses wenig schmeichelhafte Image der Versicherung, vermittelt ein der Assekuranz gegenüber offenbar undankbarer, rachsüchtiger Schriftsteller in seinem großen, berühmten, erschütternden Welt-Roman.
Was ist die Moral von der Geschichte für die Versicherungsunternehmen? Unsere Studentinnen und Studenten werden es sehr gerne hören: Behandelt eure Praktikanten gut!
Hans-Peter Mehring (Dezember 2015)
* Thomas Mann, ‚Im Spiegel’, in: ders., Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Frankfurt 1974, Bd. 11, 329-333, hier: 330; vgl. auch ders., Lebensabriss (1930), in: ders., Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Frankfurt 1974, Bd. 11, 101. „Buddenbrooks. Roman einer Familie“ wird hier zitiert nach Band 1. Zum Gesamtwerk Thomas Manns empfehlenswert: Reinhard Mehring, Thomas Mann. Künstler und Philosoph, München 2001. Informativ zu Thomas Mann und seinem Verhältnis zur Assekuranz ist der Beitrag von Peter Koch in der Zeitschrift Versicherungswirtschaft, Heft 15/2005, S. 1144-1159.